Montag, 5. Januar 2009

1962: Frankreich und die Schweiz - per Moped


Im Frühjahr 1962, nach Beginn meines Studiums in Gießen, kaufte ich mir ein Moped der Marke NSU Quickly. Es sollte mir den täglichen Weg zwischen Krofdorf und den verschiedenen Vorlesungsplätzen erleichtern. Meine erste "Fernfahrt" mit dem langsamen Vehikel machte ich bereits zur Pfingstzeit, ein ziemlich langwieriges und anstrengendes Unternehmen.

Sonntag (Pfingsten), 10. Juni: Krofdorf-Trier. 1290-1582 (Kilometerstand des Quickly). Trier: Wie erwartet gab es in der Jugendherberge Ärger; deshalb vermied ich es auch zu erwähnen, daß ich ein Moped bei mir habe. Dieses steht im Freien und jedem Strauchdieb zum Mitnehmen angeboten; nur weil man ein Prinzip aufrechterhalten will (nämlich das damals noch geltende, dass wer mit einem Motorfahrzeug unterwegs ist, keinen Anspruch auf einen JH-Platz hat). Diese Menschen sind blöde, der hiesige „Herbergsvater“ scheint der Prototyp dieses seltsamen Menschenschlages zu sein. Vorhin hat Deutschland im Ausscheidungskampf um das Halbfinale gegen Jugoslawien 1 : 0 verloren. Hier schläft man in Massenquartieren und da reißen die Initiatoren auch noch so das Maul auf.

Montag, 11. Juni: Trier-Metz. 1582-1690. Heute machte ich schon gegen Mittag Schluß mit dem Fahren. Vormittags war ich in Luxemburg, zusammen mit noch einem Mopedfahrer. Wenn ich allerdings gewußt hätte, daß ich den ganzen oder fast den ganzen Nachmittag darauf warten mußte, bis die JH wieder geöffnet wurde, wäre ich vielleicht weitergefahren. Wieder einmal wünschte ich per Autostop gefahren zu sein. Gewiß brächte das manche Anstrengung, aber ständig den Tücken eines kleinen Motors ausgeliefert zu sein, erzeugt auch kein angenehmes Gefühl. In dieser Jugendherberge ist nicht viel „los“. Das kommt wohl daher, daß sie im internationalen Verzeichnis nicht enthalten ist. Hier trennte sich der andere Mopedfahrer auch von mir, weil er nach Holland will. Das Wetter ist mies: kalt, so daß ich heute ganz durchgefroren war (was zum guten Teil auch an meiner unzulänglichen Bekleidung gelegen haben mag). Die Franzosen fahren undiszipliniert und rücksichtslos, was mir schon manchen Schrecken eingejagt hat. Die Trikolore erscheint überall; der Franzosen Nationalgefühl untrennbar verbunden mit der Fahne (womit eigentlich noch) scheint unausrottbar. Sollen sie es haben, nützen wird es ihnen nichts, auch wenn sie die H-Bombe in eigener Regie bauen (und später oder früher anwenden). Wovon bin ich nur so müde? Vorhin kam mir der Gedanke, doch etwas über mein Empfinden zu schreiben, das ich hatte, während ich durch eine lange, schmale Straße ging, vor deren Häusern und Kneipen viele Gruppen von Algeriern standen: was sah ich denn mehr als Algerier und kam mir dann mehr als der eine Gedanke, daß man sich hier wie in einer afrikanischen Stadt vorkommt, die fremdartige Sprache, die dunklen Gestalten, die wummernde Musik aus den Kneipen. Dazwischen Franzosen und Kinder, Kinder.

Dienstag, 12. Juni: Metz–Besancon. 1976-2199 Zunächst schien es, als wolle sich das Wetter nicht bessern, plötzlich aber wurde es zunehmend wärmer - bis mir der Motor heiß wurde. Ich hätte noch 100 Mark drauflegen sollen und eins mit Luftgebläse kaufen. Die JH liegt hier 6 km von Besancon in Richtung Drole entfernt, und da ich kein Französisch kann, ist so etwas immer problematisch für mich. Mit mir übernachteten hier nur noch zwei Jurastudenten und zwei Holländerinnen, was bei der guten Lage der JH sehr verwunderlich ist. Mittwoch, 13. Juni: Besancon (eigenes Foto links)-Bern. 1976-2199. Ich hatte einfach nicht mehr die Lust, nach Bern zu fahren. Von Besancon aus ging es in den Jura hinauf (eigenes Foto rechts), eine wunderbare Fahrt, wenngleich ich ständig fürchten mußte, daß mir der Motor sauer werden könnte. Die Schweiz ist schön, aber irgendwie fehlt ihr etwas gegenüber Frankreich. Frankreich, das fiel mir auf, ist ein Land der Angler. Wie regt es mich auf, daß ich nicht Französisch kann. Anmerkung: Erinnere ich mich richtig, suchte ich in Bern die Adresse auf, unter der mein Reisegefährte von 1958 Raphael Glathe wohnen sollte, erfuhr aber von seiner Mutter, dass er nicht zu Hause sei.

Donnerstag, 14. Juni:
Bern-Freiburg. 2199–2361. Freitag, 15. Juni: Freiburg-Bad Kreuznach. 2369-2641. Wenngleich die Fahrt von Freiburg aus ziemlich anstrengend war, so machte sie mir dennoch Spaß. Von Karlsruhe aus fuhr ich nicht weiter in Richtung Speyer, sondern in Richtung Pfalz, die mir noch fremd war. Die erste pfälzische Stadt war Landau, dann kam Neustadt an der Weinstraße; die Pfalz scheint hier ein einziger Weinacker zu sein. Da meine Karte nur sehr grobkörnig ist, fand ich mich nicht ganz zurecht, besonders irritierte es mich, daß ich scheinbar nie aus der Oberrheinischen Tiefebene herauskam. Ständig sah ich weit entfernt die dunstigen Berge des Odenwaldes. Tatsächlich aber verbreitert sich die Ebene hier gewaltig und außerdem steigt der Hunsrück bzw. der Pfälzer Wald nicht abrupt aus der Ebene auf (tut er doch), so daß man den Übergang nicht recht wahrhaben will. Sogar an den Kirschen war ich, wenngleich sie noch nicht recht reif waren. Müde und unsicher (weil ich nicht wußte, ob es hier eine JH gibt) kam ich in Kreuznach an. Mein Moped hatte noch einmal einen Gewaltakt zu vollbringen, die Jugendherberge liegt nämlich auf einer beträchtlichen Anhöhe. - Samstag, 16. Juni: Kreuznach-Krofdorf. 2369-2641 (also insgesamt 1514 km zurückgelegt mit einem Benzinverbrauch von ca. 1,7 l/100 km).