Sonntag, 28. Dezember 2008

1982: Namibia


Das Unternehmen firmierte unter geologischer Exkursion. Gelegenheit dazu bekam ich, weil eine der ursprünglichen Teilnehmerinnen aus Geldmangel die Reise absagte und mir durch Astrid B. deren Platz vermittelt wurde. Eine Chance, die ich von Anfang an mit großem Nachdruck verfolgte.

25. März: 17.45 Abflug in Richtung S. W. A. (Namibia). - 26. März.: Gegen 6 h morgens Ankunft Windhoek; Fahrt (per VW-Busse unseres „Gastfarmers“ Stubenrauch) über Okahandja und Omaruru (zur Gästefarm) Etemba. - 27. März: Farm Etemba, SWA - Bei der Ankunft gestern Mittag, nach einem 11 ¾-stündigen Flug mit SAA in einem Jumbo 747 (verkürzte Version – weil die SAA-Flugzeuge keine Überflugrechte für Afrika hatten und einen Umweg über den Ozean nehmen mussten) von Frankfurt nach Windhoek zeigte das Thermometer 31 Grad C im Schatten. Zwei Wochen vorher war ich noch im ausklingenden kanadischen Winter in Toronto und machte am Tag vor dem Abflug den Umzug Astrids nach Frankfurt mit, nachdem wir am davorliegenden Wochenende die Frankfurter Wohnung gestrichen haben und nach Göttingen zurückgefahren waren, um ihre Wohnung, vollgestellt mit umzugsfertigen Möbeln, per Wandfarbe zu renovieren. Die Gruppe, der ich mich durch Astrids Bemühungen angeschlossen habe, umfaßt 14 Leute; das Unternehmen läuft als Mischung von Urlaub und geologischer Exkursion, wobei nach meinem bisherigen Wissen lediglich der Exkursionsleiter, Professor Günter Moh als Mineraloge und ein älterer Herr namens Wolfgang Hartung (wohnhaft in Oldenburg und bekannt mit einer Reihe mir von „altersher“ vertrauter Bewohner dieser Stadt) Geologie als Fachwissenschaftler betreiben. Von den anderen ist mir bisher folgendes bekannt: einer ist Frachtraumdisponent bei der Bundesbahn, einer ist Lehrer, ein dicker Mensch mit allem möglichen technischen Wissen, einer ist Maschinenbau-Ingenieur im Kraftwerkbau (ein etwas prahlerischer Weltenbummler), einer ist Zahnarzt (aus Leer), eine - vermutlich dessen Freundin - ist PTA in Heidelberg, ein blasses, unscheinbares Wesen, ein weiterer Zahnarzt namens Achim ist dabei, er stammt aus Biberach und scheint das Objekt der Zuneigung einer weiteren Dame zu sein, nämlich Mohs Tochter. Dieser Achim wirkt auf mich körperlich etwas ungeschickt, scheint zuhause aber zumindest Tennis zu spielen, zudem hat er, wie er mir erzählte, einen Kutschen-Führerschein gemacht. Ein Schweizer namens Schmid, ein älterer bedächtiger Mann, wurde mir von Moh als „Strahler“ avisiert, eine Bezeichnung, die auf Menschen mit der besonderen Gabe, Minerale zu finden, angewendet werde. Eine schlanke Dame, Freundin oder Frau des Maschinenbau-Ingenieurs, ist mir noch ziemlich unbekannt. Der Schweizer soll Handwerker sein. Der Pächter der Farm, ein Axel Stubenrauch ist Südwester, geboren in Windhuk (wenn ich ihn richtig verstanden habe), dessen Vater 1907 aus Strelitz (?) eingewandert war. er erzählte gestern Abend, daß er früher Vieheinkäufer gewesen sei. Noch schwer einschätzbar, aber wohl der „typische“ Südwester, der Angst vor den „Kommunisten“ hat und sein Land durch die „Terroristen“ der SWAPO gefährdet sieht. – 28. März: Fahrt mit VW-Bussen zum Brandberg, mit 2606 m höchstes Bergmassiv Namibias, ein sogenannter Kraton, eine stabile Masse innerhalb der Urkontinente, etwa 60 km östlich der Küste. Der sichtbare Aufbau: auf einer Marmorschicht – Damara-Marmor – liegt wannenförmig dunkler manganhaltiger Dolorit, ein basaltisches Gestein. In die „Wanne“ wurde Granit hochgedrückt, durch dessen Spalten wiederum gelangte schwarzer Basalt – Melaphyr – nach oben – (laut Moh und Prof. Hartung) und Fingerklippe (280 Millionen Jahre alt). - Vis: Zinnmine; Zinnstein = Zinnoxyd (Ausbeute bis 92 %). Abends Khorixas.

29. März: Khorixas – Versteinerter Wald – Verbrannter Berg – Tuyfelfontein - Terrace Bai (Skeletküste) - Einige Aussagen über oben genannte Personen treffen nicht zu, doch halte ich eine Korrektur jetzt noch für verfrüht, zumal viel mehr Wissen noch nicht hinzugekommen ist. Wir befinden uns jetzt, am Abend des zweiten Tages des ersten Ausfluges an der Skeletküste, nach einer Fahrt, die in erster Linie Felszeichnungen unbekannter Herkunft am Brandberg und in Tweyfelfontein (heute) galt, aber auch Aufschluß über geologische Formationen brachte (der wirkliche Kenner scheint Professor Hartung zu sein, sich an ihn zu wenden, bleibt selten ohne Ergebnis). Das letzte Stück der heutigen Fahrt ging durch ein Wüstengebiet. Das geologische Interesse der Teilnehmer scheint recht weit hinter der hemmungslosen Fotografiersucht zurückzubleiben. Weder Stein noch Strauch, weder Tier noch Bild ist sicher vor der wilden Fotojagd.

7. April: Okawkujeo (Etoscha-Pfanne – vor 1 Mrd. Jahre entstandene Vertiefung in der sandbedeckten Granitfläche. Ablagerung von Geröll bis vor 70 Millionen Jahren. Danach Ablagerung der Kalahari-Schichten) - Die Trophäenjäger sind unermüdlich, derweil ich mich dem Genuß einer Turmaussicht hingebe und auch gestern Morgen lieber in Naumutomi geblieben bin. Der „Reiseleiter“ Moh sieht in mir natürlich einen Außenseiter, der sich nicht anpassen will. Heute gab es eine kleine Reiberei bei der Zimmerverteilung, als ich mich mit seinem „Verteilungsplan“ nicht ganz einverstanden erklärte. Von Anfang teilte er mich sich zu, wenn Zweibettzimmer zur Verfügung standen, wogegen ich im Prinzip nichts einzuwenden gehabt hatte, wenn nicht längst klar geworden wäre, daß ich wahrscheinlich der einzige bin, von dem er noch „Respekt“ und Anerkennung erwarten konnte. Die „alten“ Hasen schenken ihm längst keinerlei Beachtung mehr und betrachten ihn als das, was er ist, ein Chaot, auf den kein rechter Verlaß ist. Auffallend war von Anfang an seine Prahlerei, sein Hang zu „guten“ Ratschlägen und seine Unfähigkeit, klare Informationen zu erteilen. Während der Fahrten scheint er nichts anderes im Kopf zu haben als die „besten“ Fotos selbst von Nichtigkeiten zu erhalten, wozu ihm keine Körperhaltung zu lächerlich ist. Und nun, da ich mich ihm in gewisser Weise entziehen will, ja zusammen mit Astrid ihm, aber auch den anderen gegenüber stets eine bestimmte Unabhängigkeit demonstriere, versucht er langsam, mir das Etikett „Außenseiter“ aufzukleben. Überhaupt spielen sich interessante „gruppendynamische“ Prozesse ab - 8. April: Farm Etemba - Vorgestern in Gespräch mit einer Deutschen eines Alters, der man die Tätigkeit gar nicht mehr zutraut, der die Dame nachgeht: sie war zusammen mit einem Fahrer in einem „Rotel“ von Windhuk aus unterwegs, um herauszufinden, ob die Etoscha-Pfanne den „Bedürfnissen“ deutscher Reisender entspricht („unsere Kunden sind sehr anspruchsvoll, der Krüger-Park bietet mehr“). Sie will beobachtet haben, daß in Südwest (also Namibia) die „Apartheid“ noch in krasserer Erscheinung vorhanden sei, während in Südafrika ein wesentlich entspannteres Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß herrsche, räumte aber ein, daß Soweto "ganz schrecklich" sei. Daß hier in SWA der weiße Mann noch starke Herrschaftansprüche gegenüber den Schwarzen herausstellt, läßt sich unschwer den auf Schwarze bezogenen Bemerkungen und Urteile entnehmen, jedenfalls der Leute, mit denen es wir hier zu tun haben. Stubenrauch, der Pächter der Farm, ein unermüdlich tätiger Mensch, der allem Anschein nach eine bewegte Vergangenheit hinter sich hat, versäumt keine Gelegenheit, den schwarzen Menschen lächerlich zu machen. Dies geschieht vornehmlich in anekdotischer Form, in Geschichtchen, die den Schwarzen als unfähig zu selbständigem Denken und Handeln zeichnen. Ob er beispielhaft ist für seine deutschsprachigen Genossen hier weiß ich nicht, zu vermuten jedenfalls ist es. - Auch befindet sich ein Gast auf der Farm, der auf sich aufmerksam macht durch kenntnisreiche Bemerkungen über den Tierbestand der Gegend und so den Eindruck erweckte, als sei er Bewohner des Landes, bis ich durch Befragung erfuhr, daß er deutscher Lehrer ist (promoviert dazu, wovon er jedoch erst gestern Abend sprach). Er versteht sich selbst als „Philosophen“, seine Unterrichtsfächer sind Deutsch und Philosophie, schimpft auf die „Emanzen“, spricht von den Schwarzen als „Kaffern“, sieht Deutschland in einer Zeit des Niederganges, spricht bewundernd von Preußen, bezeichnet die Demokratie als eine Herrschaft der „Mittelmäßigen“, vermißt den „Philosophen“ an der Spitze des Staates wie ihn Plato gefordert hat und sieht im Vorgehen Englands gegenüber den ihm bei der Besiedlung im Wege stehenden Indianern eine „rationale“ Lösung. Der kleine bärtige Mann, der ständig an der Flasche hängt, gibt nur denen Lebensrecht, die sich als kulturell jeweils Überlegene zeigen und leitet davon den Überlegenheitsanspruch der Weißen gegenüber den Schwarzen ab - ein Rechter in Reinkultur, der seine Gesinnung mit anspruchsvollen geistesgeschichtlichen Ableitungen rechtfertigt und unterfüttert. Ein Gehirn, das Menschen einteilt in Sieger und Verlierer, wobei den Siegern alles und den Verlierern nichts oder allenfalls Almosen zukommen. Ein kleiner Mann, der von Großwildjagden und Farmerleben in Südwest träumt (warum ich nur damals nicht die Quelle seiner „Philosophie“ - Oswald Spengler - erkannte?).

13. April: Etemba – Usakos – Spitzkoppe. – 14. April: Besteigen der Kleinen Spitzkoppe. - 15. April: Farm Etemba - Heute gegen Mittag sind wir von einem Ausflug zur Kleinen und Großen Spitzkoppe zurückgekommen. Die Menschen um mich herum - von ein paar Ausnahmen abgesehen - „nerven“ mich in einem Maße, daß ich inzwischen noch stärker als von Anfang an eigene Wege zu gehen versuche. - Am Abend vor der Abfahrt zur Spitzkoppe geriet ich in ein anregendes Gespräch mit einem deutschen Ehepaar aus Johannesburg, er ein Lehrer an der dortigen Deutschen Schule. Erstmals erfuhren wir, Astrid und ich, differenziert und offen und nicht teils hämisch-übelegen, teils in huldvollem Ton des weißem Heilsbringers einiges über südafrikanische Verhältnisse, wobei einzelne Anmerkungen erinnernswert sind: Im Verhalten der Schwarzen habe sich in letzter Zeit eine starke Veränderung vollzogen, er ist auch längst nicht mehr so rechtlos gegenüber den Weißen wie dies noch bis vor kurzem der Fall war. In Südafrike herrsche ein großer Mangel qualifizierter Arbeitskräfte, was es verhältnismäßig leicht mache, Karriere zu machen. Der Alkohol spielt sowohl unter den Weißen als auch unter den Schwarzen eine erhebliche Rolle. Ein großes Problem mit Folgen wie Gewaltkriminalität und Drogenkonsum sei der hohe Anteil unverheirateter junger Schwarzer in Soweto, nicht zuletzt auch wegen der durch die Abwanderung in die Stadt gestörten Sozialstruktur, obgleich die Familie noch immer eine wichtige Klammer sei. Werde ein Schwarzer in unserem Sinne ausgebildet und erreiche eine Qualifikation, die einen Weißen erst zu Leistungen anfeuert, will er zu arbeiten aufhören und andere für sich arbeiten lassen. Überhaupt seien - immer noch nach Aussagen unseres Zeugen - die Schwarzen viel anspruchsloser und gingen, hätten sie erst wieder genug Geld, lieber müßig. Beim Weißen mache sich ein starkes Prestigedenken bemerkbar, er arbeite sehr viel und gebe dann das reichlich verdiente Geld für Renommier-Objekte (wie große Autos etc.) aus. Die Frauen seien praktisch rechtlos und völlig vom Ehemann abhängig, auch eine Folge sehr frühen Heiratsalters bei hoher Scheidungsrate ohne hohe Abfindungssumme für die meist wirtschaftlich benachteiligte Frau. Unverheiratetsein gelte, insbesondere für die Frau, als Makel. Soweit, sehr knapp, aus dem Gedächtnis ein paar Argumente dieses Mannes. – 17. April (Samstag): 7.15 Etemba ab nach Windhoek; nachm. zum Flugplatz; 19.45 Start. – 18. 4.: Um 7.45 h Ankunft Frankfurt

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