Sonntag, 28. Dezember 2008

1980: Zum erstenmal auf der Insel Juist


1980


28. Dezember: Insel Juist – Im Rücken die Nordsee, über der eine schwache Sonne versucht, die tiefhängenden Wolken zu durchdringen. Geräusche: Ein knallender Wind, ein Heulen der Hausecken, gelegentlich summt der Ventilator des Elektrospeicherofens. Am zweiten Tag meines Insellebens, das gestern Nachmittag gegen 3 mit der Ankunft mittels Schiff und „Inselbahn“ begann, habe ich bereits einen Gang durchs Watt, einen eher zufälligen Besuch des „Dünenfriedhofs“, eine Durchquerung der Insel zwischen hochgetürmten Dünen und den Anblick eifriger Strandsegler hinter mir. 21, auf drei Rädern laufende, aus Rohrgestänge konstruierte Fahrzeuge, bestückt mit einem Dreiecksegel und einer auf das einzelne Vorderrad wirkenden fußgesteuerten Lenkung, nutzten den heftigen Wind aus zu einem Wettbewerb, der eine gehörige Portion Geschicklichkeit und Wetterhärte erfordert. – Die Insel ist ohne Autoverkehr. Pferdefuhrwerke und Handwagen besorgen den Transport von Menschen und Waren, überall stehen Fahrräder herum, sogar dort, wo man keinen Menschen sieht, wie heute Morgen an einem Deichtor. Wir sind zu siebt. Durch Ulrikes Beziehung erfuhr ich, daß eine größere Gruppe von Leuten wieder (wie im Vorjahr) nach Juist fahren wolle. Daß es ausgerechnet diese Insel war, hängt zusammen mit einer Hessenkollegiatin namens Marga Z., deren Freundin Ulla (jetzt Studentin in Siegen) aus Juist stammt und die Reservierungen machte. Sie war‘s auch, die uns am Bahnhof abholte und uns zur Unterkunft brachte. Wir sieben sind außer mir: Alois, dessen Schwester Gabriele und deren Mann Edgar H.. Außerdem die bereits erwähnte Marga und ihr Freund Rainer M., ein Phys.- + Math.-Lehrer des Hessenkollegs sowie ein Pädagogik-Student Gustav, der eigentlich Harald heißt und zur „Siegener Gruppe“ gehört (die heute erwartet wird). Mit uns setzten noch einige Leute über, die einer „Wohngemeinschaft“ in Königsberg angehören. Wir sieben kamen mit dem Zug nach Norddeich Mole. Untergebracht sind wir im „Haus Kruse“, Billstraße 10. Der Bauweise nach gehört es zu den älteren Häusern des Ortes. Uns hat man eine Mansarde bereitgestellt, die kaum zu heizen ist, aber außer einer Dusche im Stockwerk tiefer alles be-sitzt, was man zum Wohnen und zur eigenen Versorgung braucht. Die Preise scheinen alle einen „Inselzuschlag“ zu haben – sogar der Tschibokaffee ist erheblich teuerer als an Land.

30. 12.. Insel Juist – Das mit dem Tschibo-Kaffee stimmt nicht. - Macht sich bei mir das „Reizklima“ der Insel durch eine Neigung zum Nasenbluten bemerkbar? Nach längeren Spaziergängen, selbst bei den hier herrschenden milden Temperaturen, entsteht ein Lähmungsgefühl der Gesichtsmuskulatur, wodurch das Sprechen erschwert ist. Gestern unternahm ich einen Gang westwärts vorbei am „Hammersee“, den ich jedoch nicht zu Gesicht bekam. Dieser Binnensee soll im 17. Jahrhundert als Bruchlinie entstanden sein, nachdem sich die Insel infolge einer Wasserflut geteilt hat und beide Teile dann im Verlauf von rund zweihundert Jahren über Deiche und wohl künstliche Dünen wieder vereint wurden. Als Rückweg benutzte ich den breiten Sandstreifen des seewärts gerichteten Ufers. Abends besuchte ich im „Haus des Kurgastes“ eine Auffürung der Juister Laienbühne „Mine Tante – Tine Tante“. Bemerkenswert: offensichtich waren alle Juister gekommen, um sich den Klamauk anzusehen, eine Art Familienvorführung in heimat-lichem Platt. Dann feierte der „Heimatverein Juist e. V.“, aus deren Mitgliedern sich wohl das „Esemble“ rekrutiert, sein 25jähriges Bestehen. Nein – die Theatergruppe besteht 25 Jahre. – Heute machte ich mich gegen ½ 10 auf den Weg, um an einer Wattwanderung teilzunehmen. Der Gang ins Watt begann am Bahnhof, vorher mußten 4 Mark bezahlt werden, geführt wurde die etwa 25 Kopf starke Gruppe von „Alfred“, einem Einarmigen in Wollpullover, Gummihose und –stiefel und mit Schiffermütze. Am Gürtel einen Hirschfänger und eine Pfeife, die Grabgabel trug ein junger Gast. Bemerkenswert: Torfklumpen, die aus tiefliegenden und angeblich vor 4000 Jahren über Wasser befindlichen Mooren stammen, darinen eingeschlossen Pflanzenreste, Schilfblätter. Erstaunlich: Alfred ließ uns eine Reihe bilden und vorwärts gehend mit den Füßen aufstampfen. Er folgte uns, blieb dann stehen und buddelte mit der Gabel ein Loch, aus dem er, wie angekündigt, eine lebende Muschel holte. Die Stelle will er durch eine Vertiefung im Wattboden erkannt haben, die sich nach unserer Stampferei dadurch gebildet hat, daß die Muschel ihr stetoskopartiges Werkzeug ängstlich zurückzog. Es gab Vogelspuren im Windschatten einer Torfplatte, von Würmern gebildete Sandröhren, die ebenfalls ausgebuddelt wurden. Man erfuhr einiges über die Wasserversorgung der Insel und über ihr zugehörige Sandbänke. Nun ja, eine kleine naturkundliche Lektion für Neugierige. – Vorgestern sind die drei weiteren Gäste eingetroffen, einer mit Spitznamen „Scholle“, der tatsächlich Georg J. heißt, eine Margit mit ihrem Freund „Poti“, der angeblich mit Antiquitäten handelt, aber einen Uni-Abschluß haben soll. Von Ulrike erfuhr ich, daß es vor mehr als einem Jahr während eines Prag-Aufenthaltes einen heftigen Wettbewerb um diese Dame zwischen Alois und Poti gab, aus dem A. als Verlierer hervorging. Ich möchte sie nicht geschenkt haben, sollte mich aber vor unnötigen Aggressionen hüten.

1981

1. Januar 1981: Insel Juist (seit 27. 12. 1980) – aktivities: Gestern arbeitete ich mich gegen einen heftigen Westwind zur „Domäne Bill“ durch, dieses etwas heruntergekommen erscheinende Gehöft, wo der Gast in einem recht unwirtlichen Wirtschaftsraum Speisen wie belegte Brote und Eintopfgerichte, aber auch guten Tee zu sich nehmen kann. Nach einer guten halben Stunde überquerte ich über einen Sandpfad wieder die Insel, lief ein paar hundert Meter entlang der Küstenlinie und schlug mich dann, eine der Dünenschneisen benutzend, wieder „landeinwärts“, wo ich mir entlang hügeliger Wege zunächst zwischen den Dünen mein Ziel suchte: den schon erwähnten Hammersee. Doch vorher galt es mit vorsichtigen Schritten einen schlammigen Weg durch ein Gehölz zu überwinden, von wo aus, wieder durch Dünenschluchten, eine klei-ne Anhöhe zu erklimmen war. Von hier aus bot sich ein guter Rundblick mit dem Hammersee als eindrucksvollsten Blickfang. Ihn wanderte ich dann entlang: knacksendes Gebüsch (Sanddorn?), leben im See Fische, darf er zum Segeln benutzt werden. Kurz vor dem Verlassen des Naturschutzgebietes (also Segeln natürlich nicht gestattet) sehe ich einen Mann, der beobachtend etwas niederschreibt oder zeichnet. Ich hätte ihn nach seinem Tun fragen sollen. Vor den ersten Häusern bog ich wieder ab zum Sandstrand, den ich benutzte, bis ich wieder im Bereich „menschlicher Behausungen“ war. 3 1/2 Stunden dauerte dieser Fußmarsch. – Nach einem Schläfchen schloß ich mich den drei „Verwandten“ zu einem Besuch des Wellenbades an, wo ich mich als richtige Wasserratte in salzigem, aus 60 m Tiefe gefördertem Wasser gebärdete. Abends: Man langweilte sich, nach einem langwierig zubereiteten Essen – Kotelett, Bauchfleich, Erbsen und Karotten, Hackfleisch, Kartoffeln - mit Spielchen auf die „Jahreswende“ zu. Am schönsten: Die von Feuerwerkskörpern gekennzeichnete Küstenlinie des Festlandes. – Heute: Mit einem heftigen Sturm im Rücken marschierte ich an das Ostende der Insel, sie dort zu umgehen, um an der Wattseite zurückzuwandern scheiterte an Wasser-läufen; so machte ich mich auf dem gleichen Weg wieder auf den Rückmarsch. Eine kleine Tortur wegen des Sturms und allmählich einsetzenden Hagels, der mir die Hose durchnäßte, so daß sie eisigkalt an den Beinen klebte. Einmal suchte ich Schutz hinter einem Pfosten, Sand in den Augen und – lächerlich – ein wenig Angst vor Auskühlung (das kommt davon, daß man keine Ahnung auf Grund eigener Erlebnisse hat). Zurück nach 2 ½ Stunden. – 3. 1.: Juist ab 8 Uhr – Norddeich – Hamburg – Ahrensburg (wo ich Familie Lippold besuchte) – 4. 1.: Ahrensburg; Hamburg (Eimsbüttel) - 5. 1.: Ahrensburg; mit Fam. Lippold in Hamburg. – 6. 1: (Mit Zug) Ahrensburg – Bad Meimberg (wo ich Ulrike besuchte, die hier eine Reha-Kur machte). – 7. 1.: Bad Meimberg – Wetzlar – Krofdorf.

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