Sonntag, 28. Dezember 2008

USA 1972 und 1974

1972

Von Pennsylvanien nach Kalifornien

Meine erste USA-Reise - zusammen mit meiner damaligen Freundin und späteren Ehefrau Gertrud Höpken - begann am 15. August 1972 mit einem Flug von Luxemburg nach New York mit einem Zwischenaufenthalt in Island und endete am 12. Oktober wiederum in Luxemburg. In New York holte uns Todd Pearson ab, und wir fuhren mit seinem VW-Käfer zunächst in seinem Heimatort Huntington Valley bei Philadelphia. Von hier aus besuchten wir seine neue Freundin (und spätere Ehefrau - siehe Post 1974) Linda Graves in Sunderland, Mass. (siehe Fotos unten), ehe wir gemeinsam in Todds VW über Fayettville (N. C.), New Orleans, Dallas, den Grand Canon und Nevada nach San Jose in Kalifornien fuhren, wo Gertrud und ich Gertruds Verwandte Brumund aufsuchten. Unseren Reisegenossen Todd zog es aber bald nach unserer Ankunft in Kalifornien zurück nach dem Osten, zu Linda. Mit dem Flugzeug. Die Kosten dafür bestritt er mit dem Verkauf des Autos, mit dem es am Tag vor der Abreise jedoch noch einen "Zwischenfall" gab: Es rutschte in Aptos bei Santa Cruz von der Auffahrt zur Cabin der Familie Brumund (siehe eigene Fotos) den Hang zum Cathedral Drive hinunter, konnte aber zum Glück von einem Abschleppwagen wieder "befreit" werden. Gertrud und ich zogen jetzt nach Berkeley zu Marie Brumund, Gertruds „Cousine“, und deren Ehemann Robert um und blieben dort, unterbrochen von allerlei Kurzreisen, etwa in den Yosemite-Park und nach San Diego, bis zum Ende unseres Aufenthaltes.

Stationen der Autofahrt

Samstag, 26. August : Gestartet in Huntington Valley. Tachostand: 55042 Meilen. (Übernachtet in Fayettville, N. C. bei Lindas Tante und deren Mann, ein Militär). Sonntag, 27. August: Ab Fayettville: Tacho: 55568 Meilen. An Atlanta: 55984 Meilen. Montag, 28. August: Ab Slidell, Louisiana: 56518 Meilen. Bosco’s Motel. Zimmerpreis: 12.60 Dollar (1 Dollar = 3.30 DM). An Huntsville, Texas: 57006 Meilen. Dienstag, 29. August: Ab Huntsville. An Memphis, Texas: 57465 Meilen. Westerm Motel. Zimmerpreis: 12.36 Dollar. Mittwoch, 30. August: Ab Memphis. An Grands, N. Mexico: 57916 Meilen. Grands Motel: 13.78 Dollar. Donnerstag, 31. August: Ab Grands. An Flagstaff: 58378 Meilen. Ben Franklin Motel: 13.52 Dollar. (Am Freitag Ausflug zum Gran Canon). Samstag, 2. September: Ab Flagstaff. An Mojave: 58872 Meilen. 20 Mule Motel: 10.50 Dollar. Sonntag, 3. September: Ab Mojave. An San Jose: 59207 Meilen (Gesamt: 4165 Meilen).

Eigene Fotos von meiner ersten USA-Reise 1972















Li: Huntington Valley bei Philadelphia - Re: Zu Besuch bei Familie Graves in Sunderland, Mass. Vorne: Gertrud Höpken und Todd Pearson; hinten von links: Mr. und Mrs. Graves; Hollis, David, Linda und Bradford Graves. David Graves war mit einem Kameraden per Kampf-Jet angereist.









Rast am 1. August in Arizona: Todd Pearson und Gertrud Höpken

















Am Rande des Gran Canon: Gertrud Höpken und der Autor








1974

Zu einer Hochzeit - und dann ab nach Westen

Todd Pearson und Linda Graves haben beschlossen zu heiraten. Sie luden mich (und wahrscheinlich auch meine inzwischen Ehefrau gewordene Gertrud) zur Hochzeitsfeier nach Sunderland, Mass., Lindas Heimatort, ein; ich nahm diese Einladung, allerdings allein, gerne an, es wurde meine zweite USA-Reise mit einer erneuten „Durchquerung“ des Landes und ereignisreichen Wochen.

Montag, 17. Juni: Mit Gertrud, Arno und Ralf (Willershäuser) morgens nach Frankfurt. Vorher noch in Krofdorf, um weißen Schlafsack zu holen. Gestartet 10.35 MEZ. Boston an 13.30 (Zeitunterschied Ffm - Boston: 5 Std.). Mit Bus zur Peter Pan Railway-Station. Taperecorder spielt das Horst Wessel-Lied, Hitler spricht, Sieg Heil-Rufe. Fahrt durch die Stadt. Verrottete Viertel. Peter Pan-Station: Von hier aus habe ich ein Ticket für Amherst gelöst für 4.95 Dollar. Die Fahrt vom Flughafen hierher kostete 2.25. 15.05: Ich sitze im Bus mit der Richtungsaufschrift Springfield Turnpike. Fotografiert die Gegend um den Bahnhof. Ein verrottetes Amerika, ärmliche Leute, armselige Familien als Bahnhofsgäste. Aber der Betrieb funktioniert, man bekommt freundliche Auskunft. Intellektuell aussehende Jünglinge mit oder ohne Bart, das auffallendste an ihnen alte, zerknitterte, schmutzige Hosen, die Mädchen ebenfalls in dieser gepflegten Ungepflegtheit. Rückblick Flug: Ich hatte in der Boeing 707 Platz 14 B zwischen (links von mir am Fenster) einem Ghanesen, 43 Jahre, Vornamen Theophilus, dick, freundlich, still, und einer Deutsch-Amerikanerin aus Oklahoma, die aus Schwäbisch-Hall stammt, vor etwa 18 Jahren einen US-Soldaten heiratete, der jetzt nach 20 Jahren Armee eine Pension von 400 Dollar bekommt, Gelegenheitsarbeiten macht und sich um eine Anstellung beim Staat (Bureau of Mining) bewerben will. Sie haben 4 Kinder. - Busbahnhof Springfield 17.15.

Dienstag, 18. Juni: Sunderland. Ich sitze hinter dem Haus der Graves, rechts von mir nach Osten, wo die Sonne bereits hoch über dem Horizont steht, eine weite Ebene, das Tal des Flusses Connecticut, das von einem bewaldeten Höhenzug begleitet wird. Starker Autoverkehr auf der Straße nach Amherst (University of Mass. mit nach Schätzungen von Lindas Bruder Dave - etwa 20000 Studenten), auf der ich nach gestriger Busfahrt per Autostop (ohne Wartezeit) hierher gekommen bin. An der Kulisse hier hat sich wenig geändert. Frau Graves ist deutlich gealtert in der Zeit seit August 1972. Sie wirkt anämisch, müde, verfallen. Auch Richard Graves, der jetzt 53 ist, zeigt deutliche Spuren des Alterns (Todd: „die arbeiten wie verrückt“, und er hat verständlicherweise ein schlechtes Gewissen). Dave (ein Bruder Lindas) erscheint mir gesprächiger. Seine Frau Maxine ist eine ehemalige „nurse“, gesprächig, aber ohne die etwas unglaubwürdige Freundlichkeit der Amerikaner. Dann gibt es zwei Kinder der beiden: ein 6monatiger (etwas zu fetter) Todd und ein quengeliger, rötlichblonder Timothy. Außerdem die beiden Brüder Lindas Bradford, ein 20jähriger pre-medical-student, kräftig, braungebrannt, Lockenkopf, und sein wohl 16jähriger Bruder Hollis. Zum Abendessen gestern gab es Steak auf Amerikanisch mit einem Spinat- und Rote Rüben-Gemüse. - Obgleich ich müde war und eigentlich zu nichts mehr fähig, mußte ich mit Dave, Frau, Todd und Linda noch nach 9 mit nach Amherst zum Bier fahren. Zunächst in eine Wirtschaft, in der es durch Air-condition zu kalt war, aber sonst ganz anheimelnd. Wir tranken jeder ein Glas Dünnbier - Budweiser Draft - die vier zog es aber weg, und wir fuhren in eine „Pub“. Hier wurden Filme gezeigt (The lone Ranger und Archie Bunker: „All in the family“). Ja, der Amerikaner, die Faszination des Western zieht ihn so in den Bann, daß man die Konditionierung dazu in der Kindheit suchen muß. Diese lebhafte und doch bei genauern Hinsehen starre Verfolgung der Aktionen ihrer Pistolenhelden hat etwas beängstigendes an sich: das Denken, das Reflektieren wird ausgeschaltet zugunsten der reinen Reaktion auf zweidimensionales optisches Flackern. Und ähnliches scheint sich abzuspielen, wenn Familienserien mit ihren Witzen, Slapsticks und skurrilen Typen aufleuchten: es wird konform gelacht, oft gelacht und wie nach Plan. Eigentlich weiß jeder Zuhörer und Zuschauer genau, wenn er lachen (und wahrscheinlich auch wenn er sich entrüsten) muß. Das gibt dem amerikanischen Humor etwas vorfabriziertes. - Die Nacht war kurz, unterbrochen vom dreimaligen Entleeren der übervollen Blase, aber ich bin wieder fit.

Mittwoch, 19. Juni: Gestern Abend wurden Todd und ich zu einem Ehepaar in ein gegenüberliegendes Haus verbracht. Das abendliche Gespräch mit der etwa 55jährigen Frau war schleppend und ermüdend. Als der Mann nachhause kam, war ich so kaputt, daß ich kaum noch zuhören konnte. Name des Ehepaares: Eleanor und William Hubbard (eigens Foto). Er ist Auktionator und versteigert alles: Möbel aus Erbmasse, Kunst-gegenstände etc. Außerdem ist er Schätzer (schätzen: to appraisal). Ursprünglich war er Lehrer für Englisch und Geschichte und wurde zum Auktionator wohl durch sein privates Interesse an Antiquitäten. Das Haus ist museumsartig eingerichtet. Seine Familie lebt seit dem 17. Jahrhundert in Sunderland, sie reicht aber bis ins 9. Jahrhundert zurück (darüber zeigte er mir gestern einen dicken Wälzer). - Begriffe zur amerikanischen Hochzeit: „Shower“ (of gifts): für die Braut, sie bekommt Geschenke, der Sitte nach nur Frauen. Wird von einer Freundin des Hauses veranstaltet. Es wird als „Überraschung“ gegeben. Die Geschenke werden geöffnet, danach Getränke. Es können mehrere solche Veranstaltungen stattfinden. Die Gastgeberin kann bestimmen, welcher Art die Geschenke sein sollen. Einige Wochen vorher: „Bachelor’s Party“ für den Bräutigam. Nicht im Haus des Bräutigams. Er wird eingeladen, z. T. brutale Bräuche, z. B. wird dem total Betrunkenen eine Fahrkarte gekauft, er findet sich am nächsten Tag weit entfernt, zuweilen am Abend vor der Hochzeit. „Rehearsel“ (Probe): Am Abend vor der Hochzeit geht das Brautpaar mit dem „Bestman“ (Zeuge) und der „Maid of Honor“ mit beiden Eltern in die Kirche (bei großen Familien können auch „Brides’s Maids“ und die „Ushers“ (Brüder oder Cousins) teilnehmen. Die „Ushers“ begleiten die Bride’s Maids. “Ushers“ begleiten die Gäste bei der Hochzeit in der Kirche an deren Plätze. Der Pfarrer zeigt, wie sich das Brautpaar verhalten soll. Nach der Probe Essen der Beteiligten. Nach der Eheschließung: „Reception“: Die Hochzeitsfeier für die geladenen Gäste. Alles - außer dem Rehearsel-Dinner - bezahlt der Vater des Bräutigams. Die Braut führt ein Stammbuch („Weddingbook“), in das auch die Geschenke eingetragen werden und sich die geladenen Gäste eintragen. Vor der Hochzeit müssen sich Braut und Bräutigam einer Blutprobe bei Arzt unterziehen („State-law“). Die Kommune bestätigt die Untersuchung, der Pfarrer bekommt einen Schein („Certificate of Marriage“) und muß auch unterschreiben. Vor der Untersuchung muß das Brautpaar auf der Bürgermeisterei erscheinen und unterschreiben, daß es heiraten will („to sign intentions“). 3 Tage nach dem Ergebnis der Blutprobe bekommt man das Heiratszertifikat von der Gemeinde. Während der Hochzeitszeremonie fragt der Pastor, ob Anwesenden Ehehindernisse bekannt sind.

Donnerstag, 20. Juni: Old-Deerfield. Diese Ort, etwa 5 bis 6 Meilen nordwestlich von Sunderland in einem Seitental des Connecticut-River gelegen, ist eine Art Freiland-Museum. Hier wurde alles gesammelt, was die materielle Kultur dieser Gegend ausmachte: Wohnungs-einrichtungen, Kleidungsstücke, Handwerksutensilien, besonders stolz scheint man zu sein auf die Fragmente alter, bereits abgerissener Gebäude: da ist die Tür eines Hauses aufgebaut, die während eines Überfalls von 200 Franzosen und 150 Indianern (1704) eingeschlagen wurde und dort ein „Whiping Post“ aus Sunderland, ein Holzpfosten, an dem Kinder angebunden und ausgepeitscht wurden. Dann Bilder, Fotos, allerlei andere schriftliche Dokumente, so eine Musterungsliste aus dem 18. Jahrhundert. Die Tour machte ich mit dem Fahrrad. Freitag, 21. Juni: Auf der Sandsteintreppe eines alten Farmhauses in der Nähe von Sunderland. - Mit Mr. Hubbard fuhr ich hierher, da er eine Auktion vorbereitet. Die Besitzer des Hauses sind gestorben, jetzt soll das Haus verkauft und der „Inhalt“ versteigert werden. Das Haus ist vollgestopft mit alten Möbeln und allerlei Arbeitsgerät. Drei Männer schleppen das Zeug auf den Hof (ich filmte die Auktion mit meiner Nizo Super 8-Kamera). Sonntag, 23. Juni: Todds Hochzeitsanzug (Tuxedo) ist unauffindbar, außerdem hat er den Autoschlüssel seines Schwiegervaters mit den Schlüsseln von Mrs. Graves mitgenommen.

Links: Die Braut tanzt mit einem Freund des Bräutigams: Georg Grotzinger - Rechts: Als Hochzeitsgäste der Maler Maneatty aus Old-Deerfiel, seine Ehefrau und eine Freundin der Familie Graves

Sonntag, 23. Juni: Huntington Valley (bei Philadelphia, der Herkunftsort Todds). Die obige Notiz machte ich als Memo. Ich liege in einem Bett, das unter dem Dach eines Dr. Paul Grotzinger steht. Georg Grotzinger, Todds Freund, nahm mich von Sunderland hierher mit. Sunderland „was a great party“. Ich war vor allem mit Fotografieren beschäftigt und mit einem etwas verrückten Mädchen (Nancy Bryan, eine Freundin Lindas und deren „Bride’s Maid“, die später noch hier vorkommt). Was ich jetzt brauche: Einsamkeit. Ich habe einfach keine Lust mehr zu Konversation, obwohl ich auf der Hochzeit und drumherum angenehmen Menschen begegnet bin. Gestern Abend holten wir - etwa 11 Leute - Todd und Linda aus ihrem Hochzeitsbett im Colonial Hilton in Northampton. Die „Partys“ danach war das Beste der ganzen Hochzeit. Wir hockten in einer kleinen Pizzeria in einer etwas schäbigen Gegend, aßen hervorragende Pizza und tranken dünnes Bier aus Krügen („pitchers“). - Hier ist alles „great“, „terrific“. Die Mädchen kommen in Panikstimmung, wenn sie mit 22 nicht verheiratet sind, die Männer warnen sich gegenseitig vor dem Heiraten. It’s a great game, sonst nichts. Das Leben, die Verhaltensweisen kommen mir extrem ritualisiert vor. Die Menschen hier stehen unter Zwängen, die mir Wurzellosen einen schon grotesken Eindruck machen.

Montag, 24. Juni: Philadelphia, Busbahnhof. Von hier aus starte ich nach Washington DC (um weiter nach Kalifornien zu fahren, wo ich mich mit Todd und Linda nach deren Hochzeitstour wieder treffen wollte). Das Hauptproblem wird sein, einigermaßen preiswerte Unterkunft zu finden. Washington DC. An der Treppe, die zum Capitol führt. Linker Hand dürfte der Watergate-Bau sein. Viele Neger. Es wird viel gebaut. (Frage: Wo werde ich heute Nacht unterkommen?). Im Astoria-Hotel, 14. st. für 10 Dollar. Ich sitze gegenüber dem „National Theatre“. Die weiße und schwarze middle-class gibt sich ein Stelldichein. Die Schwarzen sind unterrepräsentiert (das ist später fraglich geworden). Gespielt wird „Godspell“ („Washington’s longestrunning Musical Hit returns“). Abends 9.20 im Hotel Astoria: Ich habe gerade Hemd, Unterhosen und Socken gewaschen. Vor dem Bummel zum Theater schrieb ich ein Aerogramm an Gertrud und blätterte in der „Washington Post“. Die mit der Reise verbundene sexuelle Frustration läßt sich nur mit Gelassenheit ertragen. Die Ursache dürfte aber der „touch“ mit jener verrückten Nancy gewesen sein. Sie wollte mich scharf machen, und da sie eine attraktive Person ist, sollte ich mir daraus nichts machen.

Dienstag, 25. Juni: Washington. Vor 10 Minuten habe ich bei „Mc Donald“ gefrühstückt, nachdem ich lange herumgelaufen bin, um ein Lebensmittelgeschäft zu finden - es gibt keines hier oder ich sehe es nicht. Mein Gepäck habe ich im Bahnhof untergebracht und Reiseschecks in 100 Dollars Bargeld eingetauscht. Müde Beine. Der Himmel ist bedeckt, aber es ist warm. Bauchschmerzen, wahrscheinlich vom Agiolax, das ich prophylaktisch eingenommen habe (was für ein Blödsinn!). - Im Schatten des Washington Denkmals: Von 11 bis ½ 2 wanderte ich durch die Wohnquartiere, die entlang und in den Seitenstraßen der 14. Straße liegen. Vor einer Spielhalle („Playroom“) an der 14. Straße NW 1604, die ein Mr. Robert Rippy führt, wurde ich Zeuge einer Festnahme (eigens Foto links). Zwei schwarze Polizisten kamen mit Mopeds und ein schlanker, etwa 35jähriger Mann in Jeans-Anzug, graues, modern geschnittenes Haar, ging auf einen gutaussehenden schwarzen Burschen von vielleicht 20 Jahren zu. Erst dachte ich, die beiden hätten eine Auseinandersetzung, bis ich bemerkte, daß der Grauhaarige mit dem Babyface mit Handschellen hantierte und der Schwarze sich wehrte. Nach einem Gerangel war der Bursche gefesselt. Nach 10 Minuten kam ein Polizeiauto und holte ihn ab. 5, 6 Schwarze standen herum und schimpften, diskutierten mit dem Zivil-Polizisten. Die schwarzen Quartiere machen - von Ausnahmen abgesehen - einen tristen Eindruck, so als hätten die Leute keine Beziehung zu ihrer Umgebung. Die ganze äußerlich sichtbare Atmosphäre deutet auf Gleichgültigkeit hin. - Busbahnhof, 18.10: Nachdem ich doch noch Proviant gefunden habe, sitze ich nun im Bus.

Mittwoch, 26. Juni: Pittsburgh, Busbahnhof, 0.15: Nach einer angenehmen Fahrt sitze ich in der Wartehalle, um nach St. Louis zu fahren. 5.15: Busstop irgendwo in Ohio: Fast eine Stunde geschlafen. Vor dem Start Brief an Gertrud. Es regnet. 6.15: Der Bus stopt in Columbus/Ohio. Der Tag ist angebrochen. 11.10 (10.10) Indianapolis: Bus-stop. Passagiere steigen aus, andere ein. Ursprünglich wollte ich hier einen Stop machen, aber was sollte ich hier wollen. 13.00 Stop in Terre Haute. Immer noch flaches Land, mit Bäumen und Büschen, Äcker, Brachland, Wiesen, kleinen Farmen, Wohn-Trailer. Wir sind jetzt in Illinois. Was ist das hier geologisch? Eine riesige Platte. Seit Washington reist mit mir ein seltsamer Passagier; er ist mit einer Kamera bewaffnet (Objektiv: große Brennweite), mit einem abgenutzten Photokoffer und einem Reiseköfferchen. Er liest in „Photography“, kümmert sich um niemanden und will nach St. Louis. - St. Louis (abends ½ 6): The Gateway Arch (eigenes Foto rechts): 630 feet, rostfreier Stahl, soll die Rolle von St. Louis als Tor zum Westen symbolisieren. Grundsteinlegung 23. 6. 1959, am 12. 2. 63 wurde das erste Stahlteil gelegt, Stahlplatten ¼ inch dick außen, 3/8 inch innen. Der Bogen widersteht Wind bis 150 mph. Entwurf: Eero Saarinen. Fertig am 28. 10. 65. Unter dem Bogen soll ein Museum für die westl. Ausbreitung entstehen. Ein Hotel habe ich gefunden (Foto links), nicht verkommener als das in Washington, aber billiger (4,75 Dollar). Wohl für die ärmsten Besucher St. Louis’. Einen vertrauenserweckenden Eindruck macht es wirklich nicht, und daß ich mein Gepäck (eine rote Leinentasche) dort gelassen habe, ist mir nicht ganz geheuer. Gerade habe ich eine Karte an die Willershäusers geschrieben.

Donnerstag, 27. Juni: 14. 50 St. Louis Busbahnhof: Nach Einkauf von Wurst, Käse und Bier sitze ich wieder im Bus, nach Denver über Kansas City. Schon bald nach St. Louis begann die Landschaft sich zu ändern. Statt spärlich bewaldeter Flächen nun Hügel mit Laubbäumen. Der Untergrund ist weißes, geschichtetes Sedimentgestein (ein Tonschiefer?). Nach Rolla 79 Meilen. Zahlreiche Eichenbäume. 16.45: Wir fahren jetzt „über Land“, also nicht über einen Interstate Highway. Die Gegend macht einen dünnbesiedelten Eindruck (ca. 170 Meilen östl. von Kansas City). Leicht hügelig, Laubgehölz, gelegentlich Vieh auf der Weide, tonige Erde (Tümpel mit weißem, trüben Wasser). Das Land ist nur teilweise eingezäunt. Maisfeld (Ortsname Drake). Straße Nr. 50. Ich bin erstaunt über den Waldreichtum. Die Laubbäume sind nicht allzu hoch, aber sie bedecken das Land fast vollständig. Eindruck von Landflucht. Zerfallende Scheunen, Trailerhäuser, kleine Häuser ohne Scheunen, doch es gibt gemähte Wiesen, aber auch viel Brachland und immer wieder Eichenwälder (Ortschaften: Linn, Chamois). Ein Friedhof: neben der Straße auf einer Wiese, nur Grabsteine, keine eingefriedeten Gräber, typisch für alle Friedhöfe, die ich bisher sah. 17.35: Wir überqueren den Osage River. 17.40: Aufenthalt in Jefferson City (Hauptstadt von Missouri). Es gibt hier ein Kapitol. Auf den Straßen keine Men-schen. Nach J. C. ändert sich der Charakter der Landschaft etwas. Es wird flacher und etwas baumärmer. Wir passieren California City. - In Tripton verläßt eine eigenartige Gestalt den Bus: So mögen die bäuerlichen Pioniere des 19. Jh. ausgesehen haben. Klein, stämmig, blaue Leinenhosen, schwarze Weste, schwarzer, breitrandiger Filzhut. Das Bemerkenswerteste: der Bart, lang, dünn - wie von Solschenizyn. Kräftige Hände. Gerade haben wir eine riesige Truthahnfarm passiert. Vorgestern las ich in der Washington Post, daß die Farmer die angebrüteten Truthahneier zerstören, um den Preis für Truthahnfleisch zu halten, sie machen angeblich keinen Profit mehr. - Mich langweilt - wie vorausgesagt - die Fahrt überhaupt nicht. Die alten Damen in der ersten Reihe genießen die Fahrt ganz offensichtlich. 22.15 Kansas City, Busbahnhof: Hier erfuhr ich, daß ich in Wichita nach Denver umsteigen muß und daß die Zeit dann sehr knapp ist. Endziel (dieses Busses) ist Dallas. Freitag, 28. Juni: Wichita (Kansas): Hier muß ich umsteigen. 6.15: Irgendwo in Kansas. Flaches Land, Ackerbau. Das ist wohl der Präriegürtel. Ich habe seit der Abfahrt in Wichita um 3 Uhr fast ständig geschlafen. Jetzt ist es hell, die Sonne jedoch noch nicht aufgegangen. Wir sind wieder auf der Nr. 50. - 57 Meilen vor Garden City: Mitten in der Landschaft ein Schienenstrang, eine Düngemittelfabrik (Fertilizer Plant). - 9 h Garden City: Wir haben einen Stop für Frühstück. Um 9.15 Start G. C. Wieder ein total flaches Land, staubig, windig: die Prärie. Entlang der Straße ein riesiges Maisfeld, Wassertürme, Cafes am Straßenrand, Stahlbehälter aus Wellblech, wohl für landwirt. Nutzung. Eine Linkskurve der geraden Straße geht in eine andere Gerade über. Kreuzung 50/25 (9.50 Lakin). Die Landschaft wird etwas welliger. Auf trockenen Wiesen weiden Rinder. Geologisch: Sand und Lehm, soweit ich das an Erosionen erkennen kann. Abgeerntete Getreidefelder! Bodenerosionen an vielen Stellen, ausgetrocknete Bachläufe. Die Straße, die wir fahren, gehörte zum „Santa Fe Trail“. 10.45: Wir überqueren die Grenze Kansas-Colorado. Timesaving: 1 Stunde, also 9.45 Ortszeit. Ich lese „The Wichita Eagle“, 10 Cent, 34 Seiten. Etwa 11.30 Stop in Lamar. 12.30 La Junta. Draußen ist es glühend heiß, bestimmt über 30 Grad C. Nach Fowler (13.25): Die Rocky Mountains sind in Sicht. Wir befinden uns noch in der glühenden Ebene östlich von Pueblo. - Pueblo: 109 Grad F! In der Halle des Busbahnhofs sitzen Indianer herum (ein Bild, das ich kenne). Jetzt geht es nordwärts über die Interstate 25. Das Land ist wüstenhaft, grau. Wir verlassen Colorado Springs (15.20). Noch zwei Stunden soll es so weiter gehen. Allmählich vergeht mir die Lust. 17.30: Denver. Unterwegs seit St. Louis: 27 ½ St.

Freitag, 29. Juni: Denver. Nach einem etwa 2stündigen Marsch vom YMCA-Hotel, in dem ich gestern ein Einzelzimmer ohne Bad (5,50 Dollar) gefunden habe, bin ich hier in einem kleinen Park Ecke Federal Blvd/32rd Av. W angekommen. Ich ging die 16. Straße entlang, überquerte das Viadukt über dem Bahnhof „Union Station“ und kam dann in ein Viertel, das der einigermaßen situierte Amerikaner nicht unter die Kategorie „good neighberhood“ einordnen würde. Allmählich verstehe ich, weshalb auf diese „gute Nachbarschaft“ so großer Wert gelegt wird, während ich mich darüber gerne lustig machen wollte. Das arme Amerika, das sind die Familien der Minoritäten, der Neger, Mexikaner und Indianer (ich kann nicht so exakt differenzieren), versteht es, in einem unglaublichen Schmutz zu leben. Die Gehsteige, Hinterhöfe und die Durchgänge zwischen den Häusern sind übersät von Unrat, Getränkebüchsen, Autoteilen, alten Autos. Die Armut läßt sich für diese Indolenz, die Apathie gegenüber dem Schmutz und die unansehnliche Umgebung - wozu auch die Häuser und das entsprechende Mobiliar gehören - nicht allein verantwortlich machen. Nun könnte einer vielleicht einwenden: ich lege hier die Maßstäbe meiner „Ästhetik“, meiner Vorstellung von „Ordnung“ und „Sauberkeit“ an, während diese Menschen eben Vorstellungen über ihr „environment“ entwickelt haben, zu denen eben nicht unbedingt der saubere Hinterhof gehört. Dennoch meine ich: dieser Schmutz und die Indolenz ihm gegenüber ist ein Symptom für eine „Krankheit“, die nur schwer zu beschreiben ist. Sie hat etwas zu tun mit dem, was man vielleicht „Entwurzelungssyndrom“ unklar umschreiben könnte. Ich glaube der „Slum“ ist immer etwas, von dem ich weg will - und schlimmer wird diese Fluchtabsicht noch dadurch, daß ich von der Hoffnungslosigkeit weiß, ihm zu entfliehen (weil ich Neger bin oder sonst einer verachteten Minorität angehöre, oder weil ich keine Aussicht habe zu dem wichtigsten der amerikanischen Gesellschaft zu kommen: zu Geld). Denver nennt sich „One-mile-high town“. Ich merke diese Höhe schon wieder etwas. Am Ufer des „Sloan Lake“. Über diesen (wohl künstlich angelegten) See sehe ich die schneebedeckten Gipfel der Rocky Mountains. Auf dem See wird Wasserschie gefahren. Wie alles hier wird auch dieser „Sport“ sehr ernst genommen, jedenfalls kann der Beobachter das den Gesten, Handreichungen und Gesprächen der Sportler entnehmen. Schlanke, gut gebaute junge Männer und die dazu gehörenden Damen tun sehr geschäftig. Die Luft ist strohtrocken. 2.00: Ecke Lawrence St./15th St. Noch ein „Block“ weiter und der Zirkel (meines Rundganges) wäre geschlossen. Vom Sloan Lake aus ging ich vorbei an einer Kirche („Span. Barock“) und einer benachbarten Synagoge an der Lawrence St. Das Land darum herum gehört dem Staat Colorado, ist unbebaut. Hier könnten einmal Wohnquartiere gestanden haben. Man sieht immer wieder deutsche Namen (Kirchhof). Ein warmer, ziemlich heftiger Wind. - Das war ein Trip von 6 Stunden. - Unter einer Horde Negerjungen ein Albino: negroide Züge, Kraushaar, aber helle Haut, hellblondes Haar. Zahlen (aus dem Christian Science Monitor): Californien hat z. Z. 20,8 Mill. Einwohner, Arbeitslosigkeit: 7,6 %, davon 2 : 1 Neger und Mexikaner zu Weißen. - Das Straßenbild von Denver ist, mehr als in den Städten bisher, exotisch. Die „weiße“ Rasse erscheint in dieser Mixtur von Menschen fast als Minderheit. Sehr viele Neger, einzeln, in großen Gruppen, Indianer, undefinierbare Mischungen mit dunklen Haaren und Augen. Also von „Schmelztiegel“ zu sprechen, was sich bei einem solchen Bild wohl aufdrängt, dürfte an der Realität vorbeigehen. Die Angehörigen der einzelnen „Rassen“ treten fein getrennt voneinander auf, wenn sie in Gruppen erscheinen. Schwarz-weiße Paare sind so selten, daß sie sofort ins Auge fallen. Die biologische „Verschmelzung“ ist sicher eine Ausnahme, und am „reinsten“ wird sich der „weiße Mann“ erhalten, denn selbst der hellhäutigste Negroide bleibt dem Neger zugeordnet, hier gibt es eine Palette von Mischungen. Ein „Neger“ kann kein „Weißer“ werden, und stammt auch der größte Teil seines Erbgutes von weißen „Vorfahren“. Der „Neger“ ist dem „Weißen“ an Schönheit und natürlicher Eleganz der Bewegungen überlegen (solange er nicht fett wird), und insbesondere die Negerfrau ist häufig von einer Schönheit, die das Überlegenheitsgefühl der Weißen absurd erscheinen läßt. 20.00: Während ich seit 7 Uhr in den „Rocky Mountains News“ lese, hat sich um mich herum einiges ereignet: Ein betrunkener, heruntergekommener drop-out bettelt mich um einen „Quarter“ an, auf einer Bank versucht ein weißes Mädchen ihren indianischen Freund loszuwerden, sie gehen weg, er legt den Arm um sie, sie wehrt ab, links von mir diskutieren 2 Polizisten mit einem langhaarigen Typen, ein Indianer, lange Haare, vielleicht 30 Jahre alt, setzt sich neben mich, raucht, dann bettelt er mich an, eine heruntergekommene Gestalt kommt auf mich zu und fragt nach einem Messer, er hat eine Dose und kriegt sie nicht auf. - Warum reise ich eigentlich? Je älter ich werde, um so uninteressanter wird es für mich, Menschen kennenzulernen. Ich würde mich nicht als menschenscheu bezeichnen, eher der Leute müde, denen man immer wieder das gleiche erzählen muß und von denen man immer wieder das gleiche hört. Ausnahmen seien nicht vergessen. Zu diese Ausnahmen muß ich Mr. Hubbard zählen, den Auktionator von Sunderland. Obgleich er nicht viel redete, erfuhr ich durch ihn mehr als durch andere Menschen auf dieser Reise. Eine erwähnenswerte Begegnung war ohne Zweifel Mr. Maneatty, der Maler von Old-Deerfield, der mich während der Hochzeitsgratulation als sein „Neffe“ vorstellte. Eine Unterhaltung und eine Begegnung wird für mich nur dann bemerkenswert und weiterer Aufmerksamkeit wert, wenn ich durch sie etwas erfahre, dem ich - aus welchen Gründen auch immer - irgendeine Bedeutung beimessen kann. Ich reise aber nicht, um gezielt solche Begegnungen zu suchen, schätze es aber, wenn ich doch eine habe. Also weiter! - Mich machen „Phänomene“ der äußeren Welt an, aus denen ich auf ihren „inneren“ Zustand schließen kann - siehe die Attraktion der Geologie auf mich. Ich reise nicht, um mich zu „bilden“, ich reise aber, um in mir ein „Abbild“ der Welt, in der ich nur so kurze Zeit existiere, zu reproduzieren, das meine Schau- und Erfahrungslust befriedigt. Samstag, 30. Juni: Denver. Ich kam ins Gespräch mit einem etwas schmud-deligen, fetten, weißhaarigen Mann in blauem Hemd. Erst sprach er über Kameras, dann von Schopenhauer, Hegel, Goethe, Freud, Adler, Jung, Bleuler - ein Sergeant der US-Army. Ein gebildeter Mensch, aber wohl ein Trunkenbold. - Im Bus nach Salt Lake City: Wir sind jetzt 10000 Fuß hoch. Alpine Atmosphäre. Die Rocky M. ändern ihr Gesicht, die Geologie wird anders, statt des Granits jetzt Sediment, geschichtet, grau (vor Glennwood Springs). Jetzt Sandstein rot. Eagle 15.20: Ein weites Tal, das seitlich von Geröllhalden begrenzt wird. Die Fahrt durch die Rocky M. war optisch grandios. Man sollte sie mit dem Auto oder Motorrad machen. 18.45 Grande Junktion: Wieder einmal Buswechsel, dann Aufenthalt bis ¼ vor 9. 23.25: Stop in Greenriver/Utah. Ich habe ein Bier getrunken. in Colorado gab es am Sonntag kein Bier, hier wird es nicht mitgegeben, wenn man es im Bus trinken will. Neben mir ein 20jähriger aus Ohio, der Aussicht auf einen Job in Sacramento hat. Er spricht ein fürchterliches Englisch.

Montag, 1. Juli: Ankunft in S. L. C. 4 Uhr morgens, nach 16 ½ Stunden seit Denver. Montagmorgen kurz nach 6 Uhr in dieser seltsamen Stadt in der Wüste. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, aber es ist schon hell, die Wolken über den Bergen in fahlem Licht bis tiefrot. Gerade habe ich den „Tempelplatz“ passiert, ein paar Sinnsprüche über die Stellung der Mormonen zu Staat und Gesetz gelesen, und jetzt überlege ich, wie der Tag gestaltet werden soll. Die Nacht wurde schlaflos verbracht, und so dürfte meine „Genußfähigkeit“ und Unternehmensfreude etwas eingeschränkt sein. Ich habe schon die Zeitung „The Salt Lake Tribune“ angelesen. - 8.30: Ich kletterte die Anhöhe in der verlängerten Achse der State Street hinauf und überschaue jetzt von hier aus die gesamte Stadt. Halblinks hinter mir, also im Osten, steht die Sonne, noch leicht bedeckt von Wolken. Vor mir der Ausläufer des Bergrückens, auf dem ich mich befinde (eigenes Foto mit Selbstauslöser), steil darunter auf einer Art Terasse vor der Stadt das Kapitol. Rechts davon, von den wenigen Wolkenkratzern fast erdrückt, der „Tempel“ und ein wenig weiter rechts hinter dem Tempel ein rundes Gebäude, das an einen riesigen Ölbehälter erinnert. Dann breitet sich die Ebene meilenweit nach Süden (?) oder Norden (?) aus, bis sie an allen Seiten in hohe Berge übergeht. Die sich rechts von mir ausbreitende Ebene verliert sich in den Salzseen, die aus der Ferne herüberglänzen. Hinter mir Berge, stark erodiert, aber von Vegetation bedeckt. Später in der Stadt: Die Berge, die ich erkletterte, bestehen aus Flußschotter. Was hat sich hier geomorphologisch abgespielt (Göbel fragen - einen Geologen mit USA-Erfahrung, der damals in Rechtenbach unter uns wohnte). - Im Mormonen-Museum: „Pioneers camped here June 3, 1847, marching 15 Miles today. All well Brigham Young“. Die Mormonen kamen von Iowa City nach S. L. C. Fast 3000 Leute machten den 1300 Meilen Treck. Die durchschnittlichen Kosten für eine Person, von Europa nach S. L. C. zu kommen, betrugen 50 Dollar. Der Treck ging von Iowa durch Nebraska (entlang dem Platte River und North Platte River, Wyoming vorbei an Fort Laramie, Casper, Fort Bridger und dann in das Lalt Lake Tal. Ausstellungsstück: Ein hölzerner „Roadmeter“. Es wurden damit die Radumdrehung gezählt und so die zurückgelegten Meilen gemessen. Die 2. „Präsident“ der Kirche nach dem Tod des Gründers Joseph Smith war Brigham Young, eingesetzt am 27. Dez. 1847. Er wohnte im Lion’s House, das heute noch existiert (auf einer Bronzeplatte im Kapitol: Founder and first Governor of Utah, born June 1, 1801, at Withingham, Vermont, joines the Church of Jesus Christ of latter-day Saints in 1832 and became its President on the Death of the Prophet Joseph Smith. Led the Mormon people from Navuoo, Illinois, to the Salt Lake Valley, arriving July 24, 1847 and declared „This is the place“. Brought some 100000 people to Utah, established 300 communities, built canals, railroads, temples, and the Salt Lake Tabernacle; foundes banks, stores, industries, institutions. Governor of Utah 1850 - 1858. Died Aug. 29, 1877, beloved by his people). - Ich habe mich entschlossen, noch einen Tag zu bleiben. Gegen 12 ging ich in ein Hotel (Hotel Little) an der Main Street. Dort zahle ich 5 Dollar pro Nacht, ein schönes Zimmer mit Bad und sehr sauber. - Wenn ich mich nicht täusche, wird hier ein etwas eigenartiger Dialekt (oder Akzent) gesprochen. - Führung durch die Tempelanlage. Nach Angaben des Führers: 3,5 Mill. Mitglieder in der ganzen Welt. Etwa 70 % der Einwohner Utahs gehören der Kirche an. 15 Missionare, alles junge Männer, sie verbringen 2 Jahre auf Reisen. 20.30: Durch die Straße der Stadt weht ein heftiger böiger Wind. Stadtabwärts (müßte Süden sein) erscheinen die Berge eingehüllt in einen nebeligen Schleier. Ich nehme an, daß es Staub ist. Auch die hohen Häuser des Zentrums und die Sonne zeigen dieses eigenartige Phänomen. Dienstag, 2. Juli: Hotel Little. Morgens um 8 Uhr geht ein Gewitterregen über die Stadt nieder. Regen in der Wüste (nach Auskunft des Hotelportiers seit mehr als einen Monat der erste Regen). - Hier trocknet man in kurzer Zeit völlig aus. Ich habe eine Art „Hitzewallung“, wenn ich mich in die Vertikale erhebe, bin müde und abgeschlagen, obwohl ich lange genug geschlafen habe. Von einer weiteren Bronzeplatte im Kapitol: "This was then (1847) Mexican territory, by the treaty of Guadalupe Hidalgo, February 2, 1848, the area was ceded to the United States. As the first organized government in the Rocky Monutains region, the pro-visional state of desert was created March 5, 1849, to function under its constitution until the Congress of the United States shall otherwise provide. The territory of Utah was established Sept. 9, 1850". - Ausflug (per Bus): 1. Bingham Copper Mine: 2 ½ M. breit, ½ M. tief; 1400 acres; 20 % des US-Kupfers, 5 % der „freien Welt“; 13 Pfund Kupfer pro Tonne Erz. 2. Salzsee. Das war die Tour, die ich mitmachen wollte. Die Salzfläche, die mich eigentlich interessierte, bekamen wir allerdings nicht zu sehen. Mittwoch, 3. Juli: 6.20 Busbahnhof: Der Schlaf war zweimal unterbrochen, gegen Morgen spielte mein Zimmernachbar wieder verrückt; während er gestern jeweils drei laute Schreie ausstieß, äußerte er sich heute durch eine Art von Lachanfällen. Es ist kühl, der Himmel wolkenlos. Abfahrt 7.05 (in Richtung Reno). - Wir fahren jetzt 1 Stunde ohne Stop, ohne eine Ansiedlung gesehen zu haben. Jetzt richtige Sandwüste, eine riesige Fläche, die von drei Dämmen durchschnitten wird, die beiden Straßendämme und ein Eisenbahndamm. Nach Reno noch 435 Meilen. Bei Wendover haben wir das Ende des Tales erreicht. - Grenze Utah/Nevada (Uhr 1 Stunde zurückstellen): Wir kommen in bergige Landschaft. 9.50: Wir fahren wieder durch ein weites Tal mit grüner Vegetation. 10.30 Stop in Elko: Die Leute stürzen sich gleich auf die Spielautomaten (slot-machines). - 12.00 Stop in Battle Monutain. 13.00 Stop in Winnemucca. - Wir fahren wieder. An Bord, neben mir, ist eine vielleicht 50jährige Frau (reisende Witwe?), die in Winnemucca vor meinen Augen gefallen ist, als sie, ohne auf die Bordsteinkante zu achten, auf einen Spielsalon zulief. Jetzt hat sie ein Hämatom im Bereich des li. Mittelfusses. Zur Landschaft: Immer noch Wüste, ein Teil zwischen stumpfen Bergen, braun, mit Wüstenvegetation. Irgendwo in der Wüste steigt ein alter Mann aus, mit Sack und Pack, er arbeitet für 7 Dollar pro Tag als Gelegenheitsarbeiter (wenn ich ihn richtig verstanden habe). - Was die Wurst - Bologna - enthält, die ich jetzt ge-gessen habe: Beef and Pork, Water, Non fat Dry Milk, Salt, Corn Syrup, Dextrose, Flavorings, Sodium Erythrobate, Sodium Nitrite and Sodium Nitrate. Ankunft in Reno 16.40 (= Fahrzeit 10 ¾ St.). Abgestiegen im Hotel Windsor (8,95 Dollar). Donnerstag, 4. Juli: Reno. Die Nacht sehr angenehm verbracht, praktisch durchgeschlafen, obgleich ich am Abend fürchtete, die Pfeife der Lokomotive würde mich stören. Es ist sehr kühl. - Überall stehen die „Slot-Machines“, es muß für viele Amerikaner etwas Erregendes sein, hier spielen zu dürfen. Abfahrt Reno 8.05, bei herrlichstem Sommerwetter. - Wir überqueren den Truckee-River und fahren in einem mit Nadelbäumen bewachsenen Tal. - Jetzt geht es den Donner-Paß hinauf. Rosevilla 13 h: Oakland-San Francisco City Lim.: 13.08 (d. h. von Washington hierher 82 Stunden unterwegs auf dem Bus). - Nach einer Stunde Busfahrt 17.45 San Jose. - Aptos, Cathedral Drive (in der „Cabin“), abends ½ 11: Als ich etwa 15 Minuten in San Jose vor dem verlassenen Haus der Brumunds (die Verwandten Gertruds, die meine erste Anlaufstelle in Kalifornien sein sollten) saß, kamen Marie und Betty (Brumund), um irgendetwas zu holen, und so „fanden“ sie mich zufällig, denn meine Karte aus Denver war noch nicht angekommen. Kein Brief von Gertrud. Von der Cabin (das „Wochenendhaus“ der Brumunds in den Redwoods nahe der Pazifikküste, das ich schon von meinem ersten Aufenthalt hier 1972 kannte) aus waren wir in einem ital. Restaurant in Watsonville.

Freitag, 5. Juli: Aptos. Um ½ 8 aufgestanden und einen Gang durch die Redwoods gemacht. Es ist ziemlich nebelig, kühl und feucht. Gespannt bin ich, ob Todd auftaucht. Mein Gefühl hinsichtlich einer gemeinsamen Fahrt mit den beiden (Todd und Linda, die sich noch auf Hochzeitsreise befanden und mit denen ich die Reise zurück in den Osten gemeinsam machen sollte) ist doch sehr ambivalent. Wenigstens bis L. A. würde ich auf die Gegenwart der beiden ganz gerne verzichten. (Nachmittags machte ich zusammen mit der Familie Brumund einen Ausflug nach Monterey, bei dieser Gelegenheit besuchten wir auch die Familie Wiedemann in Pacific Grove, die ich bereits von meiner ersten USA-Reise 1972 kannte. Sie lebte damals in der Nähe von San Diego, wo wir - Marie und Robert, Gertrud und ich - in ihrem Haus in Strandnähe sehr gastlich aufgenommen worden waren. Das eigene Foto, aufgenommen in Pacific Grove, zeigt von links: Frau Wiedemann, Herr Wiedemann, deren Tochter, Betty Brumund, Albert Brumund, deren Tochter Marie).


Samstag, 6. Juli: Aptos. Zu Marie: Sie bekam ein „Fellowship“ von 3100 Dollar, bezahlt aus einem Fond der Universität (San Diego), für 9 Monate Studium (Malerei?). Für die Univ. hatte sie von diesem Geld 1000 Dollar zu zahlen. In San Diego hatte sie eine Ausstellung, und sie habe „a couple of pictures“ verkauft. Sie möchte nach San Franciso auf die Universität gehen. Weil: In San Diego müßte sie eine „thesis“ schreiben, um den MA-degree zu bekommen, in San Francisco nicht. SF ist aber keine Universität sondern „Art School“, ihren MA bekommt sie hier nach 1 ½ Jahren Arbeit automatisch (ich habe nie nachgeprüft, ob dies alles stimmte). - Zu Marie und Robert (den ich 1972 als ihren Ehemann kennenlernte, mit dem zusammen sie in Berkeley lebte): Sie gingen im April ´73 in die Cabin. M. konnte keinen Job finden und R. arbeitete für seinen Vater (einem Contractor), dessen Geschäfte aber schlecht gingen. Kurz bevor sie Berkeley verließen, sollte M. für Alex (75), ein alter Freund von ihr, mit dem sie als junges Mädchen eine Affäre hatte, Bilder verkaufen. Sie kontaktierte einen Kunsthändler, Kent, 35 Jahre, Junggeselle, in SF, verliebte sich in ihn, erzählte davon aber Robert nichts. In der Cabin blieben sie bis ‘74. Robert hatte Depressionen wegen seiner Probleme. Ende Juli machte Marie Robert den Vorschlag, sich zu trennen. Er verließ sofort die Cabin. Sie erzählte Alex von ihrer Affäre mit dem Kunsthändler, worauf er sie bat, den geschäftlichen Kontakt abzubrechen, da er kein Vertrauen mehr zu dem Händler haben könne. Von dem geschätzten Marktwert der Bilder von 10 bis 20000 Dollar hätte sie nach Vereinbarung 50 % bekommen, wenn sie sie hätte verkaufen können. Danach bewarb sie sich um das Stipendium in San Diego. Jetzt glaubt sie schwanger zu sein. Ihr sei alles egal gewesen. Kent habe ihr aber deutlich gesagt, daß er an einer Ehe nicht interessiert sei. Sie habe seit ihrem Weggehen von San Diego Depressionen. Sie müsse unbedingt von ihren Eltern weg. Vor kurzen ist ihre Tante (eine Avon-Vertreterin in Los Gatos) ganz plötzlich gestorben. Ihre Hoffnung auf einen Teil des Erbes sei in die Brüche gegangen, da das Testament angeblich kurz vorher noch zugunsten einer Schwester der Tante geändert worden sei.

Sonntag, 7. Juli: San Jose 22.10: Vor etwa 20 Minuten hat Todd angerufen, er ist in Mountain View bei seinem Freund Robert C. Montag, 8. Juli: San Jose. Heute Morgen habe ich die alte „Tante Frieda“ (die Pflegemutter von Maries Vater Albert) besucht. Sie ist kränklich, aber ihr Haus Newhallstreet 1175 ist in einem picobello Zustand. Sie erkannte mich nicht sofort, ihr physischer Zustand war nicht gut, Stenokardien. Gespräch über Alberts Familie. - Ich habe wieder zuviel gefressen. Am Freitag mexikanisch in Monterey, am Samstag in Berkeley auf Berthas Party (Bertha, eine ehemalige Nachbarin von Marie und Robert, eigenes Foto links) und gestern in der Cabin den Truthahn.

Dienstag, 9. Juli: Mountain View, Gretel Lane. Hierher, in das Haus von Todds Freund Robert, kam ich gestern von S. Jose per Bus. Er ist bei einer Firma als Instrukteur der Verkäufer tätig, den Posten hat er (nach Todd) mit Unterstützung seines Schwiegervaters bekommen. Seine Frau Kathrin ist Mitglied er „Christian Science“-Sekte, sie ist verwandt mit Martin Niemöller (ihr Großvater war ein Cousin Niemöllers). Sie hat zwei Kinder von 4 oder 5 und 14 Monaten zu versorgen, im übrigen verbringt sie ihren Tag vor dem ununterbrochen laufenden Fernseher. Er kommt abends nach Hause und muß sie im Haushalt „unterstützen“. Die typische amerikanische Familie? Statistik: Etwa 68 % aller amerikanischen Frauen (wohl im erwerbsfähigen Alter) sollen nach dem Bericht einer Zeitung arbeiten. - Gestern Abend mit Todd und Linda zuerst in einer Wirtschaft in Palo Alto, dann in Mountain View (zuviel Bier). - Zu Todd: Er möchte weg, um außerhalb Kaffee zu trinken, aber wagt nicht wegzugehen, da die Frau fragen könnte, wohin er gehen will. Ihm schmeckt der Kaffee nicht, den sie ihm anbietet, und er wagt nicht abzulehnen. Mittwoch, 10. Juli: Mountain View. Gestern Abend waren wir zusammen „aus“, zunächst in einer Bar mit Rock-Musik, an deren Eingang ein Pförtner das Alter per I. D. wissen wollte. Dann fuhren wir nach San Jose in eine Bar mit „Folk-Musik“, sehr schwach. Auf der Fahrt Unfall gesehen: Ein VW war gegen einen Hydranten geprallt, und nun schwoll in einer riesigen Fontäne das Wasser aus dem Boden und überschwemmte die Straße.

Donnerstag, 11. Juli: Mill Valley, Erica Av., gegen 0.30: Bei Todds Vetter (beider Großväter väterlicherseits waren Brüder) Paul Alexander Pearson zu Gast. Die Begrüßung war sehr unverbindlich, auch die der Frau Marianne. Aber der Abend war sehr lebhaft. Zum Abendessen gab es Kartoffeln in Stanniolpapier, Roastbeef und Artischocken. Dazu kalifornischen Wein („Charles Krug“, Napa Valley-Burgundy 1970). Pauls Frau: Er lebte mit ihr 9 Jahre zusammen, d. h. sie war während dieser Zeit sein „date“. Schließlich wollte sie geheiratet werden, er weigerte sich wohl, und sie zog nach L. A., wo sie in ihrem Beruf , Betreuung von Stewardessen oder etwas ähnliches, befördert wurde. Nach einiger Zeit gab er auf und heiratete sie. Sie soll nach Todd „sehr geschäftstüchtig“ sein. Pauls jetziger Job: Er und ein Partner, ein Architekt, der mit einer Frau aus der angeblich sechstreichsten Familie des Landes verheiratet ist, kaufen ganze Häuser, die abgerissen werden sollen, weil an deren Stelle ein neues Gebäude entstehen soll. Sie transportieren es an eine andere Stelle, wo sie es verkaufen. Die Häuser bekommen sie praktisch umsonst, möbeln sie dann an ihrem neuen Standort auf. Bei ihrem ersten Coup haben sie einen Profit von über 9000 Dollar gemacht in Las Vegas. Ihr Hauptproblem sind die Nachbarn. Sie müssen alle Nachbarn dazu bringen, per Unterschrift zuzustimmen, daß das „neue“ Haus in ihrer Gegen stehen darf, d. h. dorthin paßt. Die erste Transaktion dauerte etwa 3 Wochen. Für den Transport hatten sie 1700 Dollar zu zahlen, diese Summe ist deswegen so niedrig, weil sich hier eine gut ausgerüstete Branche mit solchen „movings“ beschäftigt. Zum Profit: 1. Die eingesetzten Kosten für die Installation des Hauses können von der Steuer abgesetzt werden, 2. Wird der Gewinn aus Immobiliengeschäften innerhalb eines Jahres „reinvestiert“, braucht darauf keine Steuer gezahlt werden. - Mill Valley, 15.30: Wir haben eine herrliche Tour per Motorboot (das Todds Cousin gehörte) durch die Bay von S. F. hinter uns. - Von Linda erfuhr ich, daß ich von ihr aus eigentlich am Rehearsal-Essen (vor der Hochzeit in Sunderland) teilnehmen sollte, Todd das aber ablehnte, wohl aus Furcht, etwas falsch zu machen (sein Vater bezahlte das Essen). - Pauls Frau fliegt mit einem Hubschrauber nach S- F. Airport. Es kostet sie 7 Dollar pro Tag, ein Sonderpreis für sie als Mitarbeiterin einer Fluggesellschaft. Der Landeplatz ist ein paar Minuten von hier. - Abends waren Gäste. da: ein Ehepaar, er 31 und bei einer Fruchtcompany mit Aussicht auf einen Posten in Mittelamerika, sie 27 und schwanger, dann zwei ledige weibliche Personen so um die 27 bis 30. Es gab Lachs, bereitet aus einem 9 Pfund schweren Fisch, den wir nachmittags für 10 Dollar aus einem Kühlhaus direkt am Wasser gekauft haben. Dazu gab es Mais, Spargel, Reis. Und wieder vorzüglichen kalifornischen Wein. Die Schwangere erzählte, daß von den 26 männlichen Angestellten in dem Reisebüro, wo sie arbeitet, nur 2 nicht homosexuell seien.

Freitag, 12. Juli: Los Angeles/Hollywood, Sunset Blv.: Gerade hier angekommen nach herrlicher Fahrt auf der Nr. 1 von Mill Valley. Samstag, 13. Juli: Los Angeles, 8.00: Gestern Abend haben wir einen Bummel über den Hollywood Boulevard gemacht. Viel Volk, schöne, riesige Buchhandlungen, Bars, Transvestiten. Ich kam mir irgendwie unscheinbar, ja zuweilen deplaziert vor auf diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten. Zurück über den Sunset Blv., der als Verkehrsstraße dient, nicht aber dem Vergnügen, zu sehen und gesehen zu werden. Danach zusammen (im Hotel) 6 große Büchsen „Bush“-Bier getrunken und Schulgeschichten erzählt.

Sonntag, 14. Juli: San Diego/Penasquitos (15135 Segovia Court): Trotz Smog und allgegenwärtigem Benzingestank genoß ich L. A. gestern. Zuerst nahmen wir an einer Führung durch die „Universal Studios“ in Hollywood teil (4,75 Dollar): Wir gingen durch die Studios, wo z. B. das Interior für „Ironside“ („Der Chef“) aufgebaut war, man erklärte uns die Technik wie Filmszenen entstehen, deren Hintergrund irgendein ferner Schauplatz ist. Dann ging es in die Außenstudios, die aus Fassaden für verschiedene Filme bestehen: so für „The Stunt“ (richtig: The Sting), „Spartakus“ etc. Dann fuhren wir ins „Disneyland“ (6 Dollar). Abgesehen von der Frage, ob so etwas notwendig ist, bietet dieser Jahrmarkt auf Amerikanisch eine Fülle interessanter Szenen. - Jetzt sind wir bei David Graves’ Haus in einer Suburb von San Diego. Gerade habe ich einen Nachtflug nach Boston gebucht für die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag (156 Dollar). Montag, 15. Juli: Vormittags mit Todd und Linda im Zoo. Abends mit Dave, Maxine, Linda und Todd mexikanisch Essen (auf meine Anregung hin für unsere Gastgeber). Zuerst in „El Torito“ zwischen Flugplatz und Hafen, dann in „Borm’s Restaurant“ neben dem Flugplatz. Dienstag, 16. Juli: Dave erzählt, daß ein Flug (als Pilot der Navy mit seinem Militärjet) etwa 2 - 2 ½ Stunden dauert, dabei werden 10000 Pfund (etwa 700 Gallonen) Sprit verbraucht. Sie fotografieren, z. B. Disneyland, um den Unterschied zw. toten und lebenden Bäumen zu demonstrieren. - Gekauft: Eine Levi’s Hose (6,75 Dollar) und einen Gepäcksack Samsonite (10,50 Dollar) in PX der Air-Base von Miramar. Mittwoch, 17. Juli: David (Dave) bereitet an Hand einer Karte einen Navigationsflug nach Phönix für morgen vor. - Linda telefoniert mit Nancy wegen meines „Besuchs“ bei ihr. Die Angelegenheit bereitet mir Unbehagen. Was soll ich dort? Ich sollte meinen Boston-Aufenthalt selbst „gestalten“. Ich denke häufig an Gertrud, und abgesehen von ganz „natürlichen“ Gelüsten bei Anblick eines appetitlichen Frauenkörpers gelüstet es mich in erster Linie nach ihr. 23.10 San Diego Intern. Airport: Ein bißchen wehmütige Ab-schiedsstimmung. Wir waren in dem Film „Chinatown“ mit Nicolson, Faye Dunaway. Mittags auf dem Navy-Flugplatz Miramar den Flugbetrieb beobachtet, im Tower und im Radarraum.

Donnerstag, 18. Juli: Abflug 1.10 mit einer Boeing 707 (4 Aggregate). Ankunft in Dallas Ortszeit 5.35. Das soll einmal der größte Flugplatz der Welt werden. Abflug 7.04. Je näher Boston kommt, um so unbehaglicher wird mir bei dem Gedanken, daß ich mich auf ein meeting mit dieser Nancy verabredet habe. Dieses Unbehagen erwächst aus der Vorstellung, daß ich dort eigentlich nichts verloren habe und wohl auch nicht sonderlich erwünscht bin. Auch in der Welt „menschlicher Beziehungen“ folge ich lieber meinem Prinzip der optimalen Ökonomie (hoher Einsatz nur dort, wo ein Gewinn wahrscheinlich ist). Landung in Chikago 8.50.- 9.48: Noch immer Airport Chikago. Die Maschine hätte schon starten müssen, ein Fehler im hydraulischen System des rechten Flügels hat das bisher verhindert. 10.20: Vom Cockpit her wird gesagt, daß in 7 bis 8 Minuten der Schaden behoben sein soll. Start: 10.53. Sunderland unter mir gesehen. Landung Boston 13.35, seit San Diego 9 Stunden, 25 Minuten. - Auf dem Flugplatz wartete tatsächlich diese Nancy. Sie mußte 7 Dollar Strafe zahlen, weil sie ihr Auto falsch parkte. Peinlich. - Abends in einem Fischrestaurant („No-name-Restaurant“) mit Nancy, eine Fischplatte gegessen, u. a. „scallop“. Nancy wohnt hier (97 a Lowell Av., Newtonville, eigenes Foto links) im 1. und 2. Stock eines Hauses in „guter“ Gegend zusammen mit zwei gleichaltrigen jüdischen Mädchen, die beide im Bankfach sind. Die eine, ein schlankes, gut aussehendes Mädchen (Ellen Wolff), ist „im „Commoditiy“.Geschäft, angeblich eine von 5 Frauen in den ganzen USA (die andere hieß Steiber).

Freitag, 19. Juli: Boston: Gestern Abend mußte ich unter Nancys Aufsicht „Cookies“ backen. Dann ging ich - so gegen ½ 1 - ins Bett, stand aber wieder auf, weil sie sich unterhalten wollte. Wir sprachen über mich, sie, Linda. Sie besitzt ein gutes Urteilsvermögen Menschen gegenüber, überhaupt einen klaren Verstand, der es ihr aber offenbar nicht ermöglicht, andere Pläne und Vorstellungen zu entwickeln als solche im Zusammenhang mit der Gründung einer Familie. Sie gibt zu, daß sie dieser Gedanke (insbesondere an Kinder) stark beschäftigt. Und das nimmt ihr die Energie für anderes. Ihre ständigen Schwangerschaften und nachfolgenden Abtreibungen und ihre Weigerung, sich sterilisieren zu lassen, sind für mich Symptome einer stupiden Orientierungslosigkeit. Aber ich will und darf nicht zu hart urteilen. Es ist ihr Leben. Nachher lud ich sie ein, sich noch ein bißchen zu mir zu setzen, und es gab noch einen kleinen „touch“, der mir sehr gut tat. Nancys Anamnese: Autounfall etwa 1966. Bei einem Rotkreuz-Kurs 1967 be-merkte sie, daß ihre rechte Arteria femoralis viel leichter zu tasten war als die linke. 6 Monate später bei einem Gynäkologen, der ihr riet wegen dieses Phänomens zu einem Chirurgen zu gehen. Der erkannte, daß es sich um ein Aneurysma handelt. 1. Operation des traumatischen Aneurysmas der A. iliaca. Nach einer Drogen-Party spürte sie, daß mit ihrem Bein etwas nicht in Ordnung sein müsse. Eine Untersuchung (Pletysmographie?) ergab, daß das re. Bein nur eine Durchblutungsrate von 20 % hat. Die Prothese war mit einen Thrombus verstopft. 2. Operation. Danach nach Deutschland. Hier Schmerzen. In Eppendorf Angiografie mit allerg. Reaktion auf das Kontrastmittel. Man stellte keine Zirkulationsstörung fest. Später jedoch wieder die gleiche Erscheinung. Die Pulse des rechten Beines kaum vorhanden. Gefahr habe zwar nicht bestanden, aber sie sei über-haupt nicht leistungsfähig gewesen. Anruf nach Hause. Ihr Hausarzt schrieb an Dr. Bakey (richtig DeBakey) nach Houston (ein damals schon bekannter Gefäßchirurg), der sich bereit erklärte, sie zu operieren. Er hat eine neue Methode entwickelt und ihr eine neue Prothese aus Dacron eingesetzt, deren Verlauf nicht mit der natürlichen Lage der Gefäße übereinstimmte. Diese 3. Operation 1970. Nachuntersuchung 1971. Seither beschwerdefrei. - Nancy liebt es zu befehlen, zu beherrschen, will z. B. stärker sein als ich. Sie hat eine Art, den anderen zu entmündigen. Sie gibt sich auch prätentiös, so gegenüber der „popular music“, die sie nur akzeptiert, wenn in ihr „etwas ausgesagt wird“. - King’s Chapel Burial Ground, ein Friedhof mit Gräbern, die ins 17. Jahrhundert zurückreichen. - Boston ist anders. Ist es wirklich so an-ders? Hier sieht man Weiß und Schwarz zusammenstehen und -gehen. Die Häuser, auch in den Suburbs, die ich sah, sind nicht in jenem Stadium des Verfalls, das etwa Philadelphia, New York und Washington kennzeichnet. Die Menschen auf den Straßen sehen gesund aus, keine Hobos im Zentrum, kein Dreck. Es ist das Gesicht einer Stadt wohlhabender Bürger, die zu ihrer Umwelt eine positive Beziehung haben. Ich sitze am Rande eines backsteingepflasterten Platzes, der vom blanken, aber gegliederten Betonklotz der Boston City Hall beherrscht wird. Es ist Mittagspause, die Angestellten der umliegenden Büros essen hier ihre Sandwiches, lesen Zeitung, stehen oder gehen in Gruppen zusammen, viele anziehende junge Damen, unter ihnen eine solche mit jüdischem Profil. In der Stadt auf Schritt und Tritt Hinweise auf die Kolonial- und Revolutionsgeschichte des Landes. Boston erschein wohlorganisiert und „organisch“. - In ein düsteres, verkommenes Viertel geraten auf der Suche nach der „Beaver II“, dem „Tea Party“-Schiff. Dieses schließlich gefunden. Mit Bus zurück zu Newton Corner (304), dann wieder zu Fuß in die Lovell Av. - Woods Hole, Cap Code, abends 9.30 - Nancy sucht einen Typen, den Besitzer eines Segelbootes, mit dem sie sich hier verabredet hat - nach einem 150-km-drive. Motto: outside activity! Wir sind hier an der „Wurzel“ einer Halbinsel (Cap Code), die sich in weitem Bogen nach Osten in den Ozean hinausspannt. Es ist kühl und feucht. Hier gibt es ein Ozeanografisches Institut.

Samstag, 20. Juli: Woods Hole. Die geplante Segelpartie mit Warren Sass aus Sandwich findet wohl nicht statt, und wenn, dann erst mit schweren Geburtswehen. Aber ich fühle mich wohl hier. Ich sitze auf einem Anlegepfahl mit Blick auf den Ausgang der Bucht, wo scharenweise kleine Ein-Mann-Segelboote vor einer scharfen Brise kreuzen. Es ist sonnig, klar und Wolken nur in der Ferne. Am Ende der Piers entlädt ein kleiner Fischkutter seine Fracht: Schollen. Sie werden von einem Lkw übernommen. Meinem Geschmack kommt diese Landschaft doch näher als Kalifornien. Nancy und Warren suchen jemanden. Die Situation ist konfus, weil 1. nicht genügend Boote zur Verfügung stehen und 2. von den Anwesenden nur wenige Segelerfahrung haben (schließlich fand die Segelpartie doch noch statt, Skipper und wohl der Besitzer des Bootes war einer namens Carl, auf dem Foto oben am Ruder, vorne links Warren, rechts Nancy). Sandwich, abends - Mir ist etwas idiotisches passiert. Ich vermisse mein Flugticket.

Sonntag, 21. Juli: Duxbury (Plymouth County), 0.15: Ich sitze hier auf der Polizeistation, weil das Auto Nancys, ein älterer Saab, den Geist aufgegeben hat (auf der Autobahn während der Rückfahrt nach Boston). Die Geschichte mit dem Ticket beunruhigt mich weiter. - Newtonville, 1.50: Glücklicherweise hat N. ihre Wohngenossin Ellen Wolff erreicht, die mit ihrem Freund Jack kam und uns holte. Ein abenteuerliches Wochenende. Das Flugticket hat sich gefunden, ich habe es unverständlicherweise in die Fototasche getan. Ehe wir Cap Cod verlassen haben, hat uns Warren in eine Lokal in Hyannis geschleppt, wo ich Idiot für 5 Dollar gegessen habe. - Kurzer Bericht über Freitag-Sonntag: Freitagabend um 7 Uhr in Richtung Südosten, überquerten wir nach etwa 60 Meilen den Kanal, der Cap Cod vom Festland trennt und erreichten bald Woods Hole. Zuerst Suche nach Warren Sass, den Nancy schließlich in seinem Büro - er ist Programmierer - fand. Zu uns gesellte sich ein kleiner, bärtiger Typ von etwa 25 Jahren namens Dennis Schmidt, der ebenfalls als Programmierer arbeitet und bei Warren „moonlightning“ macht. Er berichtete mir von einer Reise nach Indien und Polynesien mit einem Frachtschiff, gab sich als Physiker aus aber mit Interesse an „anthropology“ (Ethnologie). Gegen ½ 12 brachen wir nach Sandwich auf, Dennis verschwand, tauchte in Sandwich aber mit fünf oder sechs Leuten (darunter 2 Mädchen) auf, mit denen wir in einem Waldteich baden gingen. Das ganze Abenteuer dauerte bis gegen 2. Nancy, Warren und ich übernachteten in der Cabin. Am Samstagmorgen nach unserer Ankunft in Woods Hole großes Durcheinander wegen der Segelparty. Schließlich einigte man sich, daß wir drei zu einem Mann namens Carl fahren.

Montag, 22. Juli: Newtonville. Abschied. Das ist keine neue Erfahrung für mich, Abschiedsschmerz zu verspüren. Aber ich muß ihn bekämpfen. Die letzte Nacht in diesem Haus trägt den Stempel des Unvergeßlichen. - Im Flugzeug - Start 20.32. Dienstag, 23. Juli: 1.10: Die Sonne kommt aus den Wolken hervor. Die Sonne ist da. - 7.40 MEZ: Turbulenzen, die Maschine wird geschüttelt. Wir müßten eigentlich schon über dem Festland sein. Dichte Wolkendecke. - 7.51: Die Ohren kündigen den Tiefflug an. - 7.54: Wir tauschen in die Wolkendecke ein. Der Druck auf die Ohren wird stärker. Land! - 7.55: Europa! Die Mosel? Die Eifel? Der Rhein? Sehr wahrscheinlich. Gleich überfliegen wir den Rhein. Der Taunus mit dem Feldberg. Ankunft Frankfurt: 8.25. Gießen an 11.20. Bahnhof Gießen: Ein Gefühl, in die Heimat zu kommen. Noch Gedanken an Boston, aber schon zu Hause. Ankunft am Bahnhof Wetzlar kurz vor 12.

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