Sonntag, 28. Dezember 2008

Tramp-Fahrten 1956-1957-1959-1963



1956


Frankreich und Italien

Als ich damals, im Mai 1956, zu meiner ersten Tramp-Tour aufbrach war ich siebzehn Jahre alt und Schriftsetzerlehrling im 2. Lehrjahr in einer Druckerei in Gießen. "Trampen" bedeutet "per Anhalter" unterwegs sein, also ohne Kosten für die Fortbewegung. Wer hat mich auf die Idee zum „Autostoppen“ gebracht? Angestoßen dazu jedenfalls hat mich die Begegnung mit einem Hannoveraner, einem ziemlich verwegen wirkenden Menschen, dem ich an einem Nachmittag 1955 den Weg zur Jugendherberge in Gießen wies. Ob ich mir über die hohen Risiken dieser Reiseform Gedanken machte? Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß aber noch sehr genau, wie begierig ich nach dieser Art der Fortbewegung war. Sie versprach Abenteuer, Freiheit und Ungebundenheit, die ich während meiner Lehrzeit so vermisste. Für mein erstes Tramp-Unternehmen benötigte ich eine Sondererlaubnis von Herrn Burgey, dem Direktor der Berufsschule, da ich meinen Urlaub - mir standen damals 21 Arbeitstage Urlaub zu - außerhalb der Ferienzeit nehmen wollte, ich also die Berufsschule nicht würde besuchen können. Meine Schulkameraden hielten mich wahrscheinlich für etwas verrückt, aber ich hatte Erfolg mit meinem Antrag. Und so startete ich am 2. Mai von der Autobahnauffahrt Steinbach aus, wohin ich mich von meinem Vater mit dem Mototorrad hatte bringen lassen.

Diese erste Tramp-Reise führte mich über Kehl, Straßburg, Vichy, Moulins, Dijon, Cannes, Monte Carlo nach Italien. Dort nach Pisa, Florenz, San Gimignano, Siena, Bologna und Turin. Dann über die Schweiz nach Stuttgart und von dort am 23. Mai zurück nach Hause. Das ganze dreiwöchige Unternehmen kostete mich, einschließlich einer Zugfahrt durch den Gotthard-Tunnel, etwa 120 Mark. Die Reise brachte mir unvergessliche Erinnerungen ein, ein paar unangenehme, aber zumeist ersprießliche. Zu meinem (späteren) Bedauern habe ich über meine damaligen Erlebnisse kaum Notizen hinterlassen, auch keine Fotos, da ich ohne Kamera losgezogen war.

Mittwoch, 2. Mai 1956: Krofdorf-Kehl. 6.30 Uhr Autobahnauffahrt Steinbach. Etwa nach 3 Minuten von einem Loyd mitgenommen worden bis Frankfurt (der Fahrer fuhr nach meiner Erinnerung jeden Tag von Gießen nach Wiesbaden, um im Statistischen Bundes- oder Landesamt zu arbeiten). Dort etwa nach 5 Minuten von einem VW mitgenommen, wir waren zu zweit. Bis Darmstadt, von dort bis kurz vor Karlsruhe mit einem US-Wagen. Vor Karlruhe mußten wir fast ½ Std. warten, bis uns ein Franzose aus Algerien mitnahm. Bei Karlsruhe ließ sich der andere, ein Internatsschüler, absetzen und ich fuhr mit dem Franzosen bis Kehl, wo ich genau um 11 Uhr in der Jugendherberge ankam. Donnerstag, 3. Mai: Kehl-Vichy. Um 8 Uhr in der JH los. An der Grenze gleich von einem Loyd bis zum Stadtausgang Straßburg.

Von dort in einem Simca ohne Unterbrechung bis nach Vichy, einer mir bis dahin völlig unbekannte Stadt, die für mich schon mitten in Frankreich lag. In Vichy fand ich keine reguläre Unterkunft in der dortigen Jugendherberge, nächtigte aber auf dem Fußboden des JH-Gebäudes, das in Renovierung und ohne Türen und Fenster war. Obwohl ich eigentlich nach Süden weiter wollte, schlug ich, weiß nicht mehr warum, zunächst einen Weg in Richtung Paris ein. Bei Moulin stand ich bereits mehrere Stunden vergeblich an der Straße, als ein Autofahrer anhielt, mich aber nicht mitnahm: weil ich Deutscher war. Endlich gabelte mich ein Wagen doch noch auf, der allerdings auf eine Nebenstraße abbog, wo ich bei einbrechender Dunkelheit in einem Dorf abgesetzt wurde. Was tun? Ich überkletterte am Ortsrand den Zaun eines Gartens, in dem ich einen Pavillon sah, der mir als Notunterkunft geeignet erschien. Der Pavillon überdachte aber nur die Ausbuchtung eines Baches, und ich machte mich wieder auf die Straße zurück. Dort tauchte ein Mann auf, erinnere ich mich richtig, war es der Wirt der einizigen Kneipe des Ortes, sagte irgend etwas mir Unverständliches, drehte mich um und versetzte mir einen Tritt. Ich trottete mich und schlug mich etwa einen Kilometer weiter von der Straße aus nach rechts in ein Buschwerk und von dort auf eine Wiese, wo ich meinen Regenschutz ausbreitete, mich darauf legte und einschlief - bis ich von Pferdegtrappel aufschreckte: ich befand mich auf einer Pferdeweide. Nach Sonnenaufgang machte ich mich auf die Straße hinaus und wurde, kaum dort angekommen, vom Fahrer eines kleinen Renaults aufgelesen. Er sei Franzose, lebe aber in den USA und sei nur zu Besuch hier. Dann bog er von der Landstraße in eine schmale Seitenstraße ab. Nicht weit und wir erreichten ein kleines Schlösschen, in dessen Hof er einfuhr, mich mit in das Gebäude nahm und seiner Frau, einer hochgewachsenen Amerikanerin, vorstellte. Das Anwesen, zu dem auch ein Bauernhof gehörte, erfuhr ich, sei Eigentum seines Vaters, eine Professor und schon reichlich alter Herr, mit dem er mich auch bekannt machte, meiner Erinnerung in der geräumigen Bibliothek. Schließlich führte mich mein Gastgeber noch in ein weiteres Zimmer an das Bett einer alten Dame, seiner Mutter, die hier, wahrscheinlich schon dement, dahindämmerte. Schließlich wurde ich in einen Raum gebracht, von dessen Decke eine Unzahl geräucherter Schinken herabhing. Dort erhielt ich ein reichliches Frühstück mit Kaffee in einer Porzellanschale ohne Henkel, ein mir bis dahin unbekanntes Trinkgefäß. Nachdem ich gesättigt war, die Toilette aufgesucht hatte und mir die Adresse des Professors hatte geben lassen (die mir leider später abhanden gekommen ist), brachte mich der freundliche Franzose wieder zurück zur Landstraße, ja sogar ein Stück weiter, an eine Straße, von der ich besser weiterkommen würde. Von da an ging es statt in Richtung Paris jetzt doch nach "Süden", zunächst mit einem Abstecher nach Dijon, wo ich in Gesellschaft anderer Tramper und eines elsässischen Luftwaffensoldaten ("Ich reinige aber nur die Toiletten") die erste Bekanntschaft mit burgundischem Rotwein machte, dann vorbei an Lyon, durch Avignon und schließlich in die Provence. Dort hielt der Fahrer eines offenen Peugot 204, ein fröhlicher Urlauber, und nahm mich mit bis Cannes, wobei wir unterwegs noch zwei österreichische Tramper mit ihren mächtigen Rucksäcken zuluden, von denen einer den mir unvergesslichen Satz sagte: "Eigentlich wollen wir nach Norwegen".

Ohne Datum und Ortsangabe:
S ü d f r a n z ö s i s c h e I m p r e s s i o n e n – Es war etwa Mitte Mai als ich durch das Rhonetal abwärts nach Cannes fuhr. Mir schienen die Tage als wären sie speziell für Götter geschaffen worden, deshalb fühlte ich mich auch wie ein halber Gott. Es war nicht beschwerlich von Dijon, in der Burgunde, aus südwärts zu trampen. Der Regen, der mir schon in Straßburg prophezeit wurde ließ auf sich warten und später als ich die italienische Grenze überschritten hatte, hat mich noch kein Tropfen naß gemacht. Eben dieses Gefühl des Halbgottseins machte mich in diesen Tagen frei von allem Bedrücktsein, es nahm mir die Angst aus dem Herzen, eine Angst, die mich immer wieder beschleicht, Lyon, diese nach Genua wohl längste Stadt, durch die ich bisher gekommen bin, Avignon, die alte römische Siedlung, die Landschaft der Provence, kräftigte mein Selbstvertrauen, ohne Zweifel hätte ich mich damals in jedes Abenteuer gestürzt, das sich mir angeboten hätte. Aber es war doch alles ein Abenteuer, ein Glücksspiel mit dem Einsatz des Ganzen und dem Gewinn des Nichts. Das Meer, dieser blaugrüne Teppich, ich war einer inneren Raserei nahe, wie ich mich so nahe dem unbegrenzten fühlte, der Reichtum meines ganzen Lebens breitete sich vor mir aus und benebelte mir die Sinne; wie bemitleidenswert ist doch der, der noch nie die Unendlichkeit des Meeres und sein gefährliches, sehnsuchterweckendes Aussehen kennengelernt hat. Mir wurden die Augen geblendet, steil führte die Straße hinab an die Küste, die Fahrt war bis hierher nicht allzu beschwerlich, außer einigen unübersichtlichen Stellen konnten wir zügig durch das Höhenland fahren, die Dörfer waren spärlich und lagen auch meist ab von der Straße, hinter Büschen standen vereinzelt alte Hütten, wahrscheinlich Besitz kleiner Bauern, das Land ist arm, kaum sieht man ein Feld, das man als bebaut ansehen kann. Trostlosigkeit mit himmlischer Sonne und einer Hitze, da man sich am liebsten nackt ins Wasser gestürzt hätte, doch wir mußten weiter, die Provence war nur ein Streifen, den wir durchfuhren, um ans Meer zu gelangen. Es war ein Kriegshafen (St. Raphael), die Matrosen bevölkerten die Kais und die kleinen Läden, die Leute scheinen hier nicht viel zu tun zu haben; schlechtgekleidete Männer, denen man den ewigen Weingeruch und Tabakgestank schon von weitem ansah, schwätzten auf der Straße oder spielten ein Kugelspiel, aus dem ich eigentlich nie klug geworden bin. Die Gassen waren eng, aber die Leute paßten auf und wir konnten zügig durchfahren. Etwas außerhalb der Stadt tankten wir; unterdessen ging ich zu den erfrorenen Palmen, deren Blätter noch zum Teil, wenn sie nicht abgeschnitten waren, erfroren und braun herabhingen. Der Winter war kalt hier, die Palmen mußten büßen, was kümmerts mich. Dem verwachsenen Tankwart einen kurzen Gruß zuwerfend rasten wir in die Asphaltstraße der Cote d‘Azur hinein; die Kurven wurden scharf, der junge Fahrer meisterte sie jedoch mit leisen Lächeln. Ich hatte mir seinen Strohhut und meine Sonnenbrille aufgesetzt und fühlte mich wie ein Millionär; das Dach des Wagens war zurückgeschoben und ließ uns kühle Luft zu, die Hitze war angenehm, der Anblick des Meeres war angenehm und das Ziel dieses Tages mußte angenehm werden; Glück hatte ich ja bisher, also warum sollte es mich jetzt verlassen, warum jetzt denken, daß man kein Glück und keine Freude an dem allen haben sollte, das sich mir hier anbot. Rechts und links der Fahrbahn standen Villen oder Pensionen, die Parkplätze an den geschützten Stellen waren voll belegt mit Wagen aller Typen. Mein Fahrer verstand mich nicht und ich verstand ihn nicht, er kam wie er mir zu erklären versuchte aus Paris um nach Sizilien zu fahren, eilig hatte er es nicht, trotzdem fuhr er halsbrecherisch.

In Cannes gab es, wie ich von meinem internationalen JH-Führer wusste, eine Jugendherberge, in der ich auch Aufnahme fand. Es war die Zeit der Filmfestspiele, und natürlich gingen ein paar von uns an das Hotel Carlton, vor dem sich schon eine große Menschenmenge versammelt hatte, um die Stars zu sehen; angeblich erwarteten man den amerikanischen Filmschauspieler Gregory Peck. Als mir jemand von hinten an meiner Lederhose herumfummelte, verließ ich den Schauplatz und machte mich zurück zur Herberge.

Der übernächste Tag brachte eine besondere Überraschung: Der flotte Fahrer eines amerikanischen "Schlitterns", der mich an der Straße von Cannes nach Monte Carlo auflas, bot mir an, mich in seinem Flugzeug nach Sizilien mitzunehmen, ich solle ihn am Nachmittag an der Rennstrecke suchen, dann erst habe sich ergeben, ob das Flugzeug, das sich noch in Reperatur befinde, startklar sei. Das war es nicht, als ich ihn an der verabredeten Stelle antraf, und ich trampte am nächsten Tag weiter nach Italien, wo ich in Rapallo übernachtete.

Es musste kurz nach meinem Aufbruch von dort gewesen sei, als ein schwarzes Auto mit deutschem Kennzeichen anhielt, ein Borgward 2400, das große Modell also dieser Marke, fast vollbesetzt mit drei Personen. Man wies mir einen engen Platz im Fond zu, den ich beibehielt, bis ich mich mehrere Tage später von dem Trio irgendwo in Norditalien wieder trennte. Der Fahrer: ein Herr um die 45, ihm fehlten ein Bein und ein Arm; sein Beifahrer vorne: ein Zahnarzt etwa gleichen Alters; mein Nebenmann auf dem engen Rücksitz: ein junger Bursche, wahrscheinlich ein Angestellter, aber wohl auch Verwandter des Fahrers. Der nämlich war ein Textil-Großhändler aus Harburg und unterwegs nach Prato bei Pisa, um einen Waggon dort gefertigter Stoffe einzukaufen. Die drei waren aber auch auf Urlaubstour. Nach der Fahrt entlang der Küste mit einer Badeeinlage bei Viareggio erreichten wir gegen Abend Pisa, wo ich mich bis zum nächsten Morgen von meinen Auto-Gastgebern trennte und mit einem jungen Franzosen die Stadt durchstreifte. Hier in Pisa aß ich die erste Pizza meines Lebens. Dass dieser Fladen, der 110 Lire kostete und den ich seiner Größe wegen sogar mit meinem Begleiter teilte, so hieß, erfuhr ich erst viele Jahre später, als die erste Pizzeria in Gießen eröffnet wurde. Nach einer Besteigung des Schiefen Turms traf ich mich mit den Leuten vom Vortag wieder, und weiter ging's bis Florenz, wo es eine wunderschön in einem Park gelegene Jugendherberge mit dem einladenden Namen "Villa di Camarata" gab, die aber schon vollgestopft mit Gästen war.

Ansichtskarte aus Florenz: "14.5. Liebe Eltern. Ich bin hier in Florenz mit einem Kaufmann, einem Arzt (tatsächlich: ein Zahnarzt) und einem Jungen zusammen. Wir kreuzen in Norditalien herum. Hier ist es sehr schön. Wir haben Hochsommertemperaturen und badeten schon zweimal im Mittelmeer, das wir aber schon verlassen haben. Ich komme wahrscheinlich nächste Woche über die Schweiz nach Deutschland zurück".

Von Florenz aus machten wir eine Autofahrt nach Siena und San Gimignano, und von Florenz aus sollte es wieder heimwärts gehen. Über Bologna, wo der Borgward einen "Platten" bekam und wir uns bis zur Reparatur in einem Restaurant aufhielten, in dem ich soviele Makkaroni aß, dass mir nach meinem Gefühl fast der Magen geplatzt wäre. Am Abend dieses Tages erreichten wir eine Stadt schon reichlich im Norden Italiens. Hier hätte ich in einem Hotel übernachten müssen, was mir zu kostspielig erschien, woraufhin ich mich von den drei lustigen Leuten verabschiedete und einfach in die Nacht hinein ging. In einem Nachttramp, unterbrochen von einer Einladung in eine Gaststätte durch Passanten - es musste nahe der Stadt Vercelli gewesen sein - erreichte ich in den Morgenstunden in einem LKW, den die Leute für mich angehalten hatten, Turin, wo ich mich auf einer Straßenbank zum Schlafen legte, ehe ich die Jugendherberge suchte. Erinnere ich mich richtig, hoffte ich, hier meinen Reisegesellschaft wiederzutreffen, obwohl wir nichts derartiges vereinbart hatten. Mehr als einen Tag hielt ich mich wahrscheinlich nicht auf in Turin. Bleibende Erinnerung: Eine Damenkapelle, die vor einem großen Restaurant in einer belebten Straße auftrat. Grenzübertritt in die Schweiz, Übernachtung im italienisch sprechenden Landesteil, danach mit dem Zug durch den Gotthard-Tunnel bis Basel - eher unfreiwillig, weil mich vor dem Gotthardt-Pass kein Auto mitnahm. Von Basel wieder per Autostop weiter bis Stuttgart, wo ich die Bekanntschaft eines angeblichen Ex-Fremdenlegionärs machte und den neu erbauten Fernsehturm bestieg.

Ansichtskarte aus Stuttgart:
"22. 5. Liebe Eltern! Grüße aus Stuttgart vom Fernsehturm. Ich bin von Florenz nach Turin, Lugano, von dort mit dem Zug nach Basel. Von Basel bin ich nach Karlsruhe und von dort hierher".



1956

Eine Spritztour ins Rheinland und nach Norddeutschland

Freitag, 21. September 1956: Dienstag, Mittwoch und Donnerstag machte ich eine Tour nach Nordwestdeutschland. Meine „Reise“ führte mich von hier über Steinbach (damals die Autobahnauffahrt für Gießen in Richtung Süden), Camberg, Limburg, Köln, Duisburg und zurück nach Düsseldorf, wo ich übernachtete. Dortmund, Bielefeld waren die anderen Städte, die ich streifte, um nach Hannover zu kommen, wo ich wieder schlief. Hannover ist eine sehr schöne Stadt, offenherzig, weiträumig, einladend und durchdrungen von einer bezaubernden Liebesromantik. Warum ich diesen Eindruck habe, kann ich mir nicht erklären, sicher macht es der Maschsee, mit seiner Promenade und der Allee, die an ihm entlang führt, die Parks mit ihren Erfrischungshallen und das Wasser, das in breiten Graben oft zu sehen ist. Selbst die Skatspieler erweckten in mir ein seltsames Gefühl, ich wurde unwillkürlich an Frankreich oder Italien erinnert. Die Wärme dieser Stadt tat mir gut, ich fühlte mich wohl. Von Hannover fuhr ich über Northeim, Einbeck (?), Kassel nach Bad Nauheim (hierher, weil ein Autofahrer „vergaß“, mich in Gießen auszusetzen und dies auf der Autobahn bei B. N. tat), von dort nach Hause.


Innenseiten meines Jugendherbergsausweises mit Stationen meiner beiden Tramp-Fahrten im Jahre 1956




1957

Belgien, England und Österreich

Das war meine zweite Solo-Reise ins Ausland, die ich hauptsächlich per Anhalter machte. Die erste dieser Art, genau ein Jahr vorher, hatte mich nach Frankreich, Italien und durch die Schweiz geführt. Die jetzige begann ich per Bahn, um meinen Brieffreund Louis Spruyt im belgischen Mecheln zu besuchen (Foto rechts kurz nach seiner Heirat). Ihn hatte ich während meiner ersten Radtour mit den Pfadfindern 1954 in die Eifel in Maria Laach kennengelernt, woran sich ein langjähriger Briefkontakt anschloss. Er starb, Ehemann und Vater zweier Kinder, 1976 während eines Urlaubs an der Cote d’Azur in einem Krankenhaus in Nizza an einer Meningitis. Von Mecheln aus ging es per Anhalter mit einer Übernachtung in Antwerpen (hier gab's zum Frühstück richtigen Bohnenkaffee) nach Ostende und weiter mit einer Fähre nach Dover. Es folgte ein mehrtägiger Aufenthalt in London in Gesellschaft eines Schweizers namens Fredy Lienberger, mit dem ich über Hastings und Dover wieder aufs Festland zurückkehrte, wo wir uns sogleich trennten . Von Ostende aus nahm mich ein in Daressalam lebender Engländer in drei Etappen mit bis Heidelberg. Von hier fuhr ich weiter über Ulm und Salzburg nach Linz, wo ich unangemeldet meine dort lebende Verwandtschaft (Onkel Rudolf, dessen Frau Ida und deren Tochter Gerlinde) besuchte. Zurück ging es zunächst per Bahn wohl bis Passau, dann per Autostop weiter nach Regensburg und Nürnberg. Von hier aus benutzte ich den Zug, legte aber vor meiner endgültigen Rückkehr noch einen "Stopover" in Frankfurt ein.

Donnerstag, 2. Mai 1957: 8.14 Gießen los - 18.55 Mechelen an. Freitag, 2. Mai: Mechelen – Kirchtumbesichtigung. 4. Mai: Mechelen. Sonntag, 5. Mai: Mechelen - bis 0.15 getanzt. 6. Mai: Mechelen 15.15 los - Antwerpen JH 16.30 - Scheldetunnel/Hafen. 7. Mai: Antwerpen 11 Uhr - Ostende an 15.45. zum 1. mal Nordsee gesehen. Mittwoch, 8. Mai: 9.45 an Bord nach Engl. - 13.34 England berührt - 17.00 London an (zw. 16.30 - 17.00 meine neue Uhr verloren) - Zum 1. mal Untergrundbahn – übernachtet Highgate. 9. Mai: 8.10 aufgest. Mit einem Schweizer und einem Südafrikaner den ganzen Tag in London-Zentrum, abends in Soho bei den Nutten. (Anmerkung: Lediglich die Geschäft jener „Nutten“ beobachtet). Freitag, 10. Mai: Übernachtet in Earls Court - Towerbridge - Diskussionen und Redner am Tower.
Aus einem Brief nach Hause: „Hier sitze ich in London, die Uhr verloren, sonst aber wohlauf - bis jetzt jedenfalls. London ist ein Hexenkessel, in dem ich nicht lange mich herumtreiben werde. Man hat, wenn man ins Zentrum geht, überhaupt keine Ruhe. Hier herrscht ein Verkehr, der wohl mit keinem anderen der Welt zu vergleichen ist. Ins Zentrum kommen ist schon eine Reise für sich; in die Untergrundbahn, möglichst noch umsteigen und dann wieder raus. Man wird aber immer fast direkt an den gewünschten Ort gebracht. Wenn man auf den Picadilly Circus, ein Verkehrsknotenpunkt, kein Circus, will, steigt man aus der Erde an die Oberfläche Londons und man ist am Picadilly Circus. Wie kam ich hierher? Mit der Bahn bin ich von Gießen nach Mechelen gefahren. Dazu brauchte ich fast 11 Stunden. In Mechelen war ich fast 5 Tage, es war wunderbar, die Leute waren sehr gut und ich bekam das beste Essen, das ich wohl bis jetzt gegessen habe (eigentlich eine Unverschämtheit meiner hervorragend kochenden Mutter gegenüber). Am Sonntag machten wir noch einen kleinen Hausball. Montag fuhr ich dann mit der Bahn weiter nach Antwerpen, wo ich schlief. Antwerpen-Ostende, die nächste Etappe, fuhr ich mit einem Schweizer, mit dem ich heute noch zusammen bin. Mittwoch setzten wir mit dem Postschiff (?) über nach England und bekamen dort einen Wagen, der uns bis an die Stadtgrenze von London brachte. Durch London fuhren wir mit einem doppelstöckigen Bus und der U-Bahn. Was ich jetzt vorhabe weiß ich noch nicht genau, wenn das Geld reicht nach Süden, wenn nicht nach Holland. Noch kann ich nichts bestimmtes sagen. Das Wetter könnte besser sein, aber man ist zufrieden. Gestern stromerte ich zusammen mit dem Schweizer und einem Südafrikaner (weiß) durch die Innenstadt, tagsüber mußte der Südafrikaner allerlei Besorgungen machen und abends gingen wir, ein paar Schritte weiter, in das Londoner Verbrecherviertel Soho“. Samstag, 11. Mai: 13.00 aus London heraus - 14.30 Brighton, 18.30 Hastings JH. 12. Mai: Viel zu Fuß gegangen, mit englischen Mädchen gesprochen - 16.00 in Dover. Montag, 13. Mai: 12.20 England verlassen - 15.56 belgischen Boden betreten, durch Brüssel nach Aachen mit demselben Wagen (Fahrer: siehe Visitenkarte).
14. Mai: Mit dem Wagen vom Vortag 9.20 Aachen-Andernach 17.40 (Köln, Bonn). 15. Mai: Andernach - Heidelberg (wunderbares Wetter). Donnerstag, 16. Mai: Heidelberg (Regen)–Ulm. Freitag, 17 Mai: Ulm–Salzburg. 18. Mai: Salzburg Festung besucht. Mit dem Zug nach Linz 16.15 an. 19. Mai: Linz. Kino: Mädchen u. Männer (zusammen mit Cousine Gerlinde Träger und deren Mutter Ida).
In einem Brief nach Hause: "
Linz, 19. V. 57 - Liebe Eltern! Nun bin ich in Linz. Es hat eine ganze Zeit gedauert bis ich hierher kam. Wie kam ich hierher? In England blieb ich nicht lange, etwa 5 Tage. Am 13. schiffte ich mich um 12 Uhr in Dover ein, um 4 Uhr war ich in Ostende, Belgien. Dort stand ich etwa 5 Minuten, da nahm mich ein Engländer aus Ostafrika mit. Erst wollte er nur bis Brüssel fahren, doch als wir noch Zeit hatten fuhren wir bis Aachen, wo ich ohne Essen in der J. H. schlief. Am nächsten Tag fuhr ich mit demselben Engländer nach Andernach am Rhein. Hier schlief ich in einem alten Turm, der zur J. H. ausgebaut wurde. Der Engländer nahm mich den nächsten Tag noch mit nach Heidelberg. Hier begann das schlechte Wetter, das mich auf der Fahrt nach Ulm stetig begleitete. Ulm-Salzburg ging verhältnismäßig gut. In Salzburg besichtigte ich die Festung und das Mozarthaus außen. Mittag versuchte ich dann hierher zu kommen, doch es gelang nicht. Ich setzte mich einfach in den Zug, der hier nehmlich (wirklich so geschrieben!) billig ist, und schaukelte bequem hierher. Wo befinde ich mich? Nachdem ich meinen Rucksack in die Jugendherberge gebracht habe suchte ich Onkel Rudolf (Bruder meines Vateres, der bereits während es 2. Weltkriegs als Anhöriger des „Reichsarbeitsdienstes“ hierher gezogen war, nach dem Krieg hier blieb und die österreichische Staatsangehörigkeit erwarb). Bald fand ich ihn. Dann holte ich den Rucksack. Nun sitze ich hier und schreibe“.

Montag, 20. Mai: Linz (Regen). 21. Mai: 10.30 Linz ab - 12.00 Passau - Regensburg J. H. Mittwoch, 22. Mai: Regensburg-Frankfurt (Fürth-Frankfurt mit Zug). 24. Mai: Frankfurt (Städel Museum - Renoir, Rembrandt, Hals, Rubens, Degas, Dürer usw). Im Kino (Olympia): Die Feuerzangenbowle (zum erstenmal in diesem Film). Samstag, 25. Mai: 11 Uhr zuhause (gefahren mit der Eisenbahn).


1959

Hamburg

Etwas mehr als ein Jahr nach meinem unfreiwilligen Aufenthalt in Hamburg wollte ich die Stadt wieder einmal aufsuchen. Ich nahm mir ein paar Tage Urlaub von meiner Arbeitsstelle in Heuchelheim und machte mich, erneut per Anhalter, auf den Weg in den Norden.
http://lebensspuren-reisen.blogspot.com/2008/12/1958-ber-hamburg-nach-marokko.html)

Mittwoch, 7. Oktober: Krofdorf-Paderborn: Meine Erwartung, heute noch (per Autostop) nach Hamburg zu kommen, erfüllte sich nicht - mir scheint, es lag an jener unmöglichen Stelle bei Alsfeld (gemeint ist die Autobahnauffahrt Kirchheim, wo ich stundenlang vergeblich „stoppte“, ehe mich schließlich eine Fahrerin auflas).

Donnerstag, 8. Oktober: Paderborn. Jene Frau, die mich gestern von Kirchheim (bis Paderborn) mitnahm, war eine 29-jährige Halbtschechin, aber mit englischer Staatsangehörigkeit. Sie arbeitet für die Engländer in Werl. Ihr Vater ist Tscheche, ihre Mutter Deutsche. 1950 flüchtete sie nach Österreich, wurde aber nicht als politischer Flüchtling anerkannt. Sie machte in Wien ihr Abitur in einem Zeitraum von 2 Jahren nach. Dann dolmetschte sie, dabei lernte sie ihren Mann kennen, einen Engländer. Die Ehe ging nach drei Jahren in die Brüche. Sie war ein sehr interessantes Frauenzimmer, mein Typ (aber ich wohl kaum der ihre; sie beurteilte mich so: Sie werden es schwer mit Frauen haben, Sie sind zu kompliziert). - Hamburg: Vielleicht sollte ich gar nicht fluchen - drei Wagen hielten heute Morgen in Paderborn, ich mußte sie ablehnen, denn sie fuhren nur bis in den nächsten Ort. Einer gab mir den Rat, mich woanders hinzustellen. Ich tat es - nach etwa einer Stunde blieb ein LKW von selbst stehen und nahm mich bis Hannover mit. Es war ein freundlicher Fahrer, und ich fühlte mich wohl trotz Krach und Hitze. In Hannover allerdings mußte ich - wie erwartet - lange stehen, doch von dort bekam ich einen FORD, der schon mit vier jungen Leuten besetzt war - man rückte zusammen und ab ging es mit teilweise 140 Sachen. Aber mein rechtes Knie begann mir derart zu schmerzen, daß mir kurz vor Hamburg ganz übel wurde. In Hamburg angekommen, zwischen 4 und 5, mußte ich hören, daß die Jugendherberge voll sei und ich mich zum Schlafen in den Yachthafen begeben müsse. Nachdem ich mich angemeldet hatte, setzte ich mich in die U-Bahn und besuchte Frau Wolf, meine ehemalige Vermieterin. Mit der Straßenbahn fuhr ich in die Dammtorstraße, im dortigen KB-Expreß aß ich eine Portion Labskaus und eine Portion Rote Grütze. Dann wollte ich mir wieder einmal die Bordelle der Ulricusstraße ansehen, diese waren jedoch abgerissen (im Herbst 1958, um auf dem Areal das UNILEVER-Haus zu errichten). Freitag, 9. Oktober: Die Nacht im Yachthafen (ein Massenquartier als Ausweich-JH) war angenehmer, als ich es mir vorgestellt habe, doch ich konnte mich hier in der JH anmelden. Heute Früh habe ich zunächst wieder Labskaus gegessen, dann habe ich Scheffler (meinen Chef vom Vorjahr) besucht. Er gab mir wieder ein paar seiner überaus vernünftigen Ratschläge. Soll er. Sonntag, 11. Oktober: Morgens ging ich mit einem hier Kennengelernten (an den ich mich nicht mehr erinnere) die übliche Stadtroute spazieren, abends war ich mit einem Berliner, der in Frankfurt bei der Lufthansa angestellt ist, auf die Reeperbahn. In der schönen Herbertstraße habe ich zwei Krofdorfer gesehen, einen K. R. und E. M. (aber in einer ganz unverfänglichen Situation). - Ich wollte unbedingt wieder einmal nach Hamburg, weil ich mich geradezu sehnte, es wiederzusehen. Dienstag, 13. Oktober: Hamburg–Krofdorf.

1963

Spanien

Montag, 25. März 1963
: Krofdorf-Trier. Wieder einmal als „Tramper“. Die zurückgelegte Strecke ist nicht beachtlich, aber Ärger gab es nur in Cochem, wo ich ungefähr 2 Stunden stehen mußte. Vielleicht bin ich wieder einmal nicht richtig „gekleidet“. Aber was blieb mir anderes übrig als die geliebte Lederjacke (die ich 1958 in Hamburg von Johann Potrebny gekauft hatte) anzuziehen. Meine „Geliebte“ Marie-Luise ist sicherlich enttäuscht über meine Haltung gegenüber dem „Idealismus“. Ihr ist bald übel geworden. Mittwoch, 27. März: Metz. Das „Liften“ wird zur Qual. Heute habe ich es von Trier hierher geschafft, nachdem ich gestern unverrichteter Dinge von der Luxemburger Grenze nach Trier zurückgekehrt war, in der Annahme, in der Stadt Luxemburg befände sich keine Herberge. Heute lud mich ein junger Engländer zum Tee ein. Er unterrichtet die Ingenieure in Merlebach.

Samstag, 30. März: Perpignan. Bis hierher war es nicht sehr schwer - abgesehen von den Trierer Tagen. Ob ich bis Spanien weitertrampe ist eine Frage, die nur mit Mut mit ja beantwortet werden kann. Grenzen sind fast immer schwierig zu überschreiten, besonders wenn die Grenzübergänge nur von Touristen benutzt werden. Gestern hatte ich einen ganz vorzüglichen Lift, und am Tag vorher schaffte ich es mit 2 Autos über Troyes nach Chalon-sur- Saone, wo ich um 1 Uhr nachts ankam, ein wenig betrunken und ziemlich entnervt. Um 6 Uhr brach ich von meinem Schlafplatz aus, vor der Jugendherberge, auf, und gerade als ich auf der Straße Paris-Lyon anfangen wollte zu liften, blieb ein Auto stehen und nahm mich mit bis Avignon. Von dort kam ich heute mit 6 Autos hierher.

Montag, 1. April: Tarragona. Gestern hatte ich einen Lift von Perpignan bis Valencia, mußte aber hier aussteigen, weil in Valencia, wie in den meisten spanischen Städten, die Jugendherberge um diese Zeit geschlossen ist. Heute früh bekam ich heftige Bauchschmerzen, und während des ganzen Tages war ich nicht in Ordnung; ab und zu überfielen mich wieder die Schmerzen krampfhaft, dann bekam ich Kopfweh. Immerhin war ich heute Morgen im Meer, wenn auch nur bis zur Hüfte. Das Wasser ist noch ungenießbar kalt, auch wehte um die Mittagszeit plötzlich ein sehr kalter Wind, der mich so auskühlte, daß ich mich nur mit Mühe erwärmen konnte und noch lange nachher bitter fror. Um 6 Uhr ging ich ins Kino für etwa 30 Pfennig, wofür 2 Filme zu sehen waren. „Te quiero España“, wollte ich bei dem einen Film ausrufen, es war eine Heimatschnulze mit Flamenco, Stierkampf und Patriotismus. Aber mich begeistert die spanische Musik und die spanische Sprache. Ich muß an Conchita denken, sie ist für mich España. Dienstag, 2. April: Tarragona. Vorhin war ich beim römischen Aquaedukt, einem gewaltigen Bauwerk, das lediglich geschaffen wurde, um Wasser über ein Tal zu leiten. Man fragt sich, in welchem Verhältnis der Aufwand zum Nutzen stand. Die Architektur ist trotz der scheinbaren Einfachheit erstaunlich, das Baumaterial: riesige Quader aus dem Ergußgestein dieser Gegend, deren Bearbeitung schon Mühe genug gekostet hat. Sie sind unvermörtelt aufeinandergesetzt und zwar als quadratische Säulen, deren Abschluß je eine Steinplatte darstellt, auf der jeweils zwei Bögen ihren Ausgang nehmen. Das Ganze ist zweigeschossig, und die Vereinigung zweier Bögen bildet zugleich das Fundament für die Säulen des oberen Geschosses, das zum eigentlichen Wassertransport diente. Mittwoch, 3. April: Um ½ 9 ging ich heute Morgen auf den Markt, kaufte mir Thunfisch und Brot und aß es vor der Markthalle. Dann wollte ich ins archäologische Museum gehen, das jedoch geschlossen war. Also spazierte ich hinunter zum Meer, strapazierte meine bloßen Füße, um an eine Landecke zu kommen, von der aus das Meer ein herrliches Bild bot. Dann legte ich mich ein wenig in die Sonne. Schließlich kaufte ich mir auf dem Markt noch ein Kilo Apfelsinen, von der schlechteren Sorte, und ging dann in die Jugendherberge Siesta machen. Alsdann brach ich auf, um mir einige Sehenswürdig-keiten Tarragonas zu betrachten. So stieß ich auf den Paseo archeologico, einem Weg entlang einer riesigen Stadtmauer, die noch aus der Römerzeit stammt, die Grundmauer sogar aus der Zeit der Iberer.

Donnerstag, 4. April: Zaragoza. Dies war ein ganz schwerer Tag, und die zurückgelegte Strecke hat mich Nerven gekostet. Der Weg nach Lerida war verpfuscht, weil ich mich nicht entschließen konnte, welchen Weg ich nehmen sollte. Erst ging ich tatsächlich zur Straße nach Lerida, dann glaubte ich, der Weg über Valencia nach Madrid sei sicherer, und schließlich glaubte ich, es gäbe einen direkten Weg abseits der beiden großen Straßen und schlug mich seitwärts nach Reus. In Reus schien es völlig aussichtslos, jetzt doch wieder auf den Weg nach Lerida zu kommen, es gelang aber besser als vorausgesehen, und die Schwierigkeit tauchte erst dort auf, wo ich nicht mit ihr gerechnet habe, nämlich in Lerida auf der Straße Barcelona-Madrid. Es regnete und keiner der vielgepriesenen Lastwagen hielt, und wenn mich um 4 Uhr ein altes Personenauto nicht bis hierher mitgenommen hätte, stünde ich jetzt noch in Lerida. Hier konnte ich mich das erste Mal nach 1 ½ Wochen ordentlich waschen. Freitag, 5. April: Zaragoza-Madrid mit Zug.

Samstag, 6. April: Madrid. Das Wetter in Lerida hat mir ordentliche Halsschmerzen beigebracht. Warum eigentlich hat mich Madrid so gelockt? Schon wollte ich mir die Fahrkarte (von Zaragoza) nach San Sebastian kaufen, nachdem ich 3 ½ Stunden vergeblich versuchte, per Autostop hierher zu kommen, aber dann latschte ich schließlich zum dritten Mal durch Zaragoza, um nach Madrid zu fahren. Es kostete etwa genau 10 Mark (161 Pts.), und das für über 300 Kilometer. Um 12 Uhr nachts kam ich in der Jugendherberge an. Bevor ich (heute) ins Prado-Museum ging, glaubte ich, mir die Schuhe putzen lassen zu müssen, dieser Spaß hat mich 25 Peseten, also fast 2 Mark, gekostet - ich bin bald umgefallen. Der Prado war wieder einmal etwas für mich. 3 Stunden, ja ich glaube noch länger, bin ich dort herumgelaufen. Berühmte Bilder von Velasquez, Goya, El Greco, Tizian, ja von Dürer waren zu sehen, ebenso von Rubens, Rembrandt, Hyron. Bosch und van Dyck. - Im Zug lernte ich zwei nette Spanierinnen kennen. Hier in der Albergue Juvenil ist es sehr ruhig. Kein Deutscher ist hier. Die vergangenen Tage waren strapaziös, vor allem für die Nerven, aber auch für den Körper. Mir ist, als könne ich mich diesen etwas extremen Situationen nicht mehr so recht anpassen. Kalte Füsse machen mich krank, ebenso Gedanken über die Schwierigkeiten, die das Trampen mit sich bringt.

Montag, 8. April: Nun war ich (gestern) doch wieder im Stierkampf. Einfach weil ich nicht wußte, was ich am Nachmittag anfangen sollte. Diese Art der Volksbelustigung ist derartig langweilig, daß ich bald gegangen wäre, hätten mich nicht die 36 Pts. (ca. 2,50 Mark) gereut. Ansonsten ist das Wetter trist und mein Besichtigungsdrang stark reduziert. Mittwoch, 10. April: Madrid ab 23 h mit dem Zug. Donnerstag, 11. April: Hendaye an 12 h. Anglet/Biarritz. Das Wetter hat mich aus Madrid vertrieben, und hier ist es nicht besser. Über Ostern werde ich hier bleiben, d. h. wenn das Wetter doch noch besser werden sollte. Ich bin ständig erkältet, und außerdem habe ich noch Bläschen auf der Lippe bekommen. Mich kotzt das an, und ich frage mich, weshalb ich mich auf eine solche Sache eingelassen habe, dazu völlig unzureichend mit Kleidung ausgerüstet, vor allem benötige ich eine andere Jacke, da die Lederjacke denkbar ungeeignet ist zum Trampen. Dann lecken die Schuhe, und ein Schirm wäre eine gute Lösung des Regenproblems.

Freitat, 12. April: Anglet. Betrachte ich nur die Zusammenstellung meines Essens. Zwar kann ich nicht darüber klagen, mein Speisezettel sehe etwa zu einseitig aus, allein ich bin über die Zusammenstellung nicht zufrieden. Außerdem schrecke ich vor Anstrengungen zurück, die das Reisen per Autostop mit sich bringt. Entscheidend aber bleibt wohl, daß sich mir die Frage aufzwingt, ob der Aufwand in einem rechten Verhältnis zum Gewinn steht: Aufwand an Zeit und Energie, Gewinn an Kenntnis anderer Stätten und anderer Lebensräume und Sitten. In Madrid traf ich zwei Neunzehnjährige, die Gebiete durchstreift haben, vor denen ich zurückschrecken würde; die Geschichten waren so erstaunlich für mich und zugleich aufschlußreich, was meine eigene Situation anbelangt. Samstag, 13. April: Anglet. Hier halten sich ein paar üble Gesellen auf, die durch ihre primitive Lärmerei die Jugendherberge „beleben“. Ein Deutscher tut sich besonders hervor, wohl in der Meinung, sehr lustig zu sein. Überhaupt ist es interessant, wie die Deutschen damit protzen, die englische oder französische Sprache zu beherrschen. Es wirkt doch lächerlich, wie man sich bemüht, seine eigene Sprache zu verleugnen. Das klingt, als denke ich nationalistisch - weit davon entfernt. Draußen versprach es heute Morgen einen sonnigen Tag, der Himmel indessen beginnt wieder, sich zu überziehen und so fällt mein beabsichtigtes Sonnenbad wieder ins Wasser. Weder habe ich (bisher während dieser Reise) Menschen kennengelernt, mit denen sich ein Gespräch lohnte noch gewann ich sonst etwas Nennenswertes an neuen Eindrücken, wenn ich von Tarragona absehe. Das lag auch an meinem Mangel an Mut und Überwindungsdrang. Denn ich glaube, daß man in Spanien so ungeheuer viele Erscheinungen studieren kann, wenn man mit der nötigen Neugier und dem dazugehörigen Spürsinn ausgerüstet ist. Abends mit einem Engländer in Biarritz.

Ostersonntag, 14. April: Am Strand mit einem Schweden, abends in Biarritz (der „Schwede“ war aber wohl gar kein Schwede; die Adresse jedenfalls, die er mir - ungebeten - als seine Wohnung in Stockholm nannte, gab es, wie ich später herausfand, überhaupt nicht). Montag, 15. April: Anglet. Am Strand. Dienstag, 16. April: Anglet. Am Strand. Mittwoch, 17. April: Anglet. Nun hatte ich tatsächlich drei sommerliche Tage hintereinander, und ich habe sie ausgekostet. Jetzt aber regnet es, und das ist ein böses Zeichen, zumal ich nicht richtig ausgerüstet bin. Donnerstag, 18. April: Anglet-Bayonne-Bordeaux–Tours (zusammen mit einer Mittramperin). Freitag, 19. April: (In der Nähe von Tours in einem Laster auf dessen Ladung Parkett übernachtet und mit dem Lkw weitergefahren bis Saarbourg, im Dunkeln weiter bis Straßburg). Samstag, 20. April: Straßburg-Frankfurt-Krofdorf 15 Uhr.

Die Innenseiten meines Jugendherbergsausweises mit Stationen meiner Reisen 1963

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen